Wunsch nach Anerkennung Was Selbstliebe mit Glauben zu tun hat

Meinung | Münster · Wer gelernt hat, sich selbst wertzuschätzen und anzunehmen, ist nicht auf andere angewiesen. Das kann auch für den Glauben eine Befreiung bedeuten – und ein Missverständnis ausräumen.

 Man muss sich nicht ständig fragen, was andere von einem erwarten, sondern: Was sind meine Erwartungen an mich selbst? (Symbolfoto)

Man muss sich nicht ständig fragen, was andere von einem erwarten, sondern: Was sind meine Erwartungen an mich selbst? (Symbolfoto)

Foto: dpa-tmn/Tom Chance

Vor wenigen Tagen habe ich das Schreiben eines jungen Mannes erhalten, der am Rande der Verzweiflung zu sein schien: „Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich Dinge mache, die nicht immer korrekt sind oder von denen ich nicht wirklich überzeugt bin, nur um anderen Menschen, vor allem meinen Vorgesetzten, zu gefallen. Ich hasse mich dafür. Ein Gefühl der Scham verfolgt mich Tag und Nacht.“ Meist ist es die Sehnsucht danach, angenommen zu sein, die den einen oder anderen unter uns dazu bewegt, ständig danach zu fragen, wie wir bei unseren Mitmenschen gut ankommen.

Zugleich ist dies der Ausdruck fehlender Selbstannahme. Die Wurzeln liegen meist in unserer Kindheit, vor allem dann, wenn man Liebe und Anerkennung nur als Belohnung für die Leistungen erfahren hat. Wer verinnerlicht hat, dass Liebe erst verdient werden muss, wird ständig von der Zufriedenheit der Außenwelt abhängig sein, um sich akzeptiert und geliebt zu fühlen. Wer hingegen gelernt hat, sich selbst zu lieben, sich selbst wertzuschätzen und sich selbst anzunehmen, der ist nicht auf die Außenwelt angewiesen. Man muss sich nicht ständig fragen, was andere von einem erwarten, sondern: Was sind meine Erwartungen an mich selbst?

Selbstannahme befreit, denn sie macht uns unabhängig von dem, was andere über uns denken. Und so verstehe ich für uns heute den Glauben. Er ist das Vertrauen darauf, dass jeder Mensch von einer unbedingten universalen Liebe angenommen ist. Monotheisten nennen diese Gott. Die Selbstannahme ist nur Ausdruck der Annahme dieser universalen Liebe. Für mich als Muslim bedeutet dies, dass mein Glaube an Gott nichts Abstraktes ist, sondern die konkrete Bejahung des eigenen Lebens. Ein „Ja“ zu Gott ist ein „Ja“ zu sich selbst. Und ein „Ja“ zu sich selbst ist ein „Ja“ zu Gott. Und so verstehe ich den Islam, nicht im Sinne der Unterwerfung, sondern der Befreiung. Selbstannahme wird somit zu einer unerschöpflichen Quelle von Kraft, aber auch von Mut. Wer seine Anerkennung aus seinem Inneren holt, schafft Raum für ein Handeln nach Prinzipien, statt für ein Handeln, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.

Unser Autor ist Islamwissenschaftler an der Universität Münster. Er wechselt sich hier mit der Benediktinerin Philippa Rath, der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Rabbi Jehoschua Ahrens ab.

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