Anne Will Erika Steinbach bringt Talk-Gäste mit Stalin-Verweis gegen sich auf

Düsseldorf · Anne Will talkte am späten Mittwochabend über die Frage, ob Deutschland den Russen wohl dankbar sein müsse für den aufopferungsvollen Kampf gegen Hitler-Deutschland. Die provokationsfreudige CDU-Politikerin Erika Steinbach wollte noch nicht mal von "Befreiung sprechen".

 Erika Steinbach (CDU, l.) sorgte bei Anne Will für Irritationen.

Erika Steinbach (CDU, l.) sorgte bei Anne Will für Irritationen.

Foto: Screenshot Anne Will ARD

Die konservative Politikerin Erika Steinbach sorgt in der bundesdeutschen Politik in schöner Regelmäßigkeit für Aufregung. Mal, weil sie fragwürdige Thesen von Thilo Sarrazin oder "Pegida" verteidigt, mal weil sie Sätze von sich gibt wie: "Ich kann es leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat." In der CDU führte das zum Rückzug aus dem Parteivorstand, in der Öffentlichkeit zum fragwürdigem Ruhm einer Krawall-Tante.

Der "Huffington Post" boten Steinbachs Thesen bereits genug Stoff, um in einer Klickstrecke die "zehn peinlichsten Tweets" der Politikerin zu sammeln. Und auch Anne Will muss sich fragen lassen, ob Steinbach ein hilfreicher Gast sein kann in einer Sendung, die sich mit dem 70. Jahrestag des Kriegsendes befasst, dem Umgang mit dem Russland von damals und dem Putin heute, dem Kanzlerin Merkel den Besuch bei der Siegesparade in Moskau am 9. Mai verwehrt. Titel: "70 Jahre nach der Befreiung — Müssen wir Russland heute noch dankbar sein?"

Ein Tweet zur Sendung drückte die Zweifel am Sinn der Einladung Steinbachs aus.

Dass sich Steinbach bei Anne Will aber wieder so weit in die Grauzone des Geschichtsrevisionismus begeben würde, war nicht abzusehen. "Von Befreiung zu sprechen, ist eine Vereinfachung der damaligen Geschehnisse", bewertete sie den 8. Mai 1945. "Da Hitler und Stalin Brüder im Geiste waren, Spießgesellen, und gemeinsam Polen überfallen haben, habe ich große Probleme mit der Vokabel Dankbarkeit." Und da Putin auch noch gerade wieder dabei sei, Stalin zu rehabilitieren, habe sie doppelte Probleme damit.

Zur Erinnerung: Schon 1985, vor 30 Jahren also, hatte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker einer historischen Rede zum Kriegsende den Begriff vom "Tag der Befreiung" geprägt, dem "Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft." Im Jahr 2000 bilanziert der damalige Kanzler Gerhard Schröder: "Niemand bestreitet heute mehr ernsthaft, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen ist." Und erst am vergangenen Mittwoch erinnerte Bundespräsident Joachim Gauck an den Beitrag und das Leid sowjetischer Soldaten.

Steinbach wehrte sich am Dienstagabend dennoch. Und brachte damit insbesondere die Linken-Politikerin Katja Kipping gegen sich auf. Die warf Steinbach vor, sie wolle die NS-Verbrechen relativieren und legte später bei Twitter nach.

Auch Marieluise Beck (Grüne) empörte sich in der eigentlich überwiegend ruhigen Diskussion zeitweise über Steinbach. Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfe man niemals minimieren, indem man auf Stalin verweise.

Selbst die um Differenzierung bemühte Anne Will biss sich an Steinbach die Zähne aus. Auch auf Nachfrage will die langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen nicht von einer Befreiung sprechen. Schließlich sei eine Hälfte Europas von einer Diktatur in die andere gerutscht. Das Kriegsende sei eine Erlösung gewesen, das schon, aber keine Befreiung. Nach Steinbachs Überzeugung kam der Tag der Befreiung für die Menschen in der DDR erst am 9. November 1989.

Als hilfreich erwies sich an einigen Stellen der Historiker Herfried Münkler. Der verwies auf das in der Bundesrepublik eigentlich akzeptierte Verständnis von "Befreiung", nach dem die deutsche Bevölkerung den 8. Mai sicher nicht so wahrgenommen hätte. In der Nachbetrachtung habe sich das aber gewandelt: die militärische Niederlage verlor an Bedeutung und wich der Einsicht, dass sie mit ihr die Herrschaft des Nationalsozialismus ein Ende gefunden hatte.

(pst)
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