Nach Hochwasser im Ahrtal Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung

Koblenz · Die Staatsanwaltschaft Koblenz prüft nach der Unwetterkatastrophe im Ahrtal den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung. Anlass sind der Behörde zufolge möglicherweise unterlassene oder verspätete Warnungen oder Evakuierungen.

 Weggeschwemmte Versorgungsleitungen liegen am Montag am Ufer der Ahr.

Weggeschwemmte Versorgungsleitungen liegen am Montag am Ufer der Ahr.

Foto: dpa/Thomas Frey

Nach der Unwetterkatastrophe in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen prüft die Koblenzer Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Dabei gehe es um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung infolge möglicherweise unterlassener oder verspäteter Warnungen oder Evakuierungen der Bevölkerung, teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit. Als Basis dienten Pressebereichte, Feststellungen aus Todesermittlungsverfahren sowie allgemeine polizeiliche Hinweise aus der Katastrophennacht.

„Weiterhin liegen mittlerweile polizeiliche Erkenntnisse in dem hier geführten Prüfvorgang um den Tod von zwölf Menschen in einer Betreuungseinrichtung in Sinzig vor“, erklärte die Staatsanwaltschaft. „Diese werden daraufhin auszuwerten sein, ob sich aus ihnen der Anfangsverdacht von Straftaten ergibt.“ Zudem sollten die dortigen Erkenntnisse auch in die Prüfung des Anfangsverdachts betreffend möglicherweise zu spät erfolgter Warnungen und Evakuierungen der Bevölkerung einbezogen werden. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli waren zwölf Menschen mit Behinderung in einer Einrichtung der Lebenshilfe gestorben.

Die Prüfung werde etwas Zeit benötigen, erklärte Oberstaatsanwalt Harald Kruse. „Zum einen wäre es fatal, Menschen, die in der Katastrophennacht sicherlich schwierige Entscheidungen zu treffen hatten, auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage mit Ermittlungen zu überziehen“, erklärte er. Zum anderen gelte, dass Ermittlungen gegebenenfalls umso zielgerichteter geführt werden könnten, je fundierter der Anfangsverdacht geklärt werde.

Nach der Flutkatastrophe wurden bislang mehr als 15 Millionen Euro aus der Soforthilfe des Landes an Bewohner des Ahrtals ausgezahlt. Wie das Statistische Landesamt am Montag weiter mitteilte, wurden bislang rund 7500 Anträge bewilligt. 1600 Anträge seien mehrfach eingereicht worden. Eine dreistellige Zahl von Anträgen werde noch bearbeitet, da bei ihnen noch Fragen zu klären seien wie etwa Zahlendreher in Kontoverbindungen oder unklare Adressangaben.

Die Soforthilfe von maximal 3500 Euro je Haushalt soll akute Notlagen finanziell überbrücken. Sie ist nicht als Aufbauhilfe oder zur Deckung entstandener Schäden gedacht. Voraussetzung für eine Soforthilfe sind laut Landesamt grundsätzlich Schäden von über 5000 Euro abzüglich Versicherungsleistungen. Neben der Soforthilfe für Privatleute gibt es kurzfristige finanzielle Unterstützung auch für Unternehmen und Kommunen in dem betroffenen Gebiet.

Unterdessen ist die Zahl der Menschen, die in der Flutkatastrophe im Ahrtal ihr Leben verloren haben, am Montag auf 138 gestiegen. Weiterhin vermisst werden 26 Bewohner, wie Florian Stadtfeld vom Polizeipräsidium Koblenz mitteilte.

Bis zum Wochenende waren 135 Menschen tot geborgen worden. Identifiziert seien bislang 106 Menschen, sagte Thomas Linnertz vom Polizeipräsidium Koblenz. Keine Angaben macht die Polizei bislang zur Frage, wie viele Menschen in den einzelnen Orten ums Leben kamen.

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Foto: AP/Michael Probst

Bereits am Sonntag gab es Berichte über verspätete Warnungen vor dem Hochwasser. Demnach ist der Landkreis Ahrweiler offensichtlich vor der Flutkatastrophe in der Nacht auf den 15. Juli präzise gewarnt worden, ohne jedoch rechtzeitig darauf zu reagieren. Es seien bei der Kreisverwaltung mehrere automatisierte Mails des rheinland-pfälzischen Landesumweltamts eingegangen, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Berufung auf einen Sprecher der Behörde. Der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), wies die Vorwürfe am Sonntag zurück.

Bereits am Nachmittag des 14. Juli veröffentlichte das Landesumweltamt laut "FAZ" Prognosen, die einen Pegelstand der Ahr von 3,70 Meter vorhersagten. Am Abend habe es dann neben den Mails auch weitere Online-Informationen der Landesbehörde gegeben. Darin sowie in den Mails an die Kreisverwaltung sei gegen 21.30 Uhr ein erwarteter Pegelstand von fast sieben Metern genannt worden. Dennoch habe der Landkreis erst gegen 23.00 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen.

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Foto: dpa/Boris Roessler

Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) verwies gegenüber der "FAZ" auf die Zuständigkeit der Kreisverwaltung. Er kündigte an, die Abläufe an dem Abend würden "exakt aufgearbeitet" werden.

Der Krisenforscher Frank Roselieb erhob in der in Koblenz erscheinenden "Rhein-Zeitung" (Samstagsausgabe) schwere Vorwürfe gegen Landrat Pföhler. Dass im Kreis Ahrweiler kein Voralarm ausgelöst worden sei, halte er für unerklärlich. Dies hätte frühzeitige Notmaßnahmen ermöglicht. Als schließlich gegen 23.15 Uhr Evakuierungen angeordnet wurden, seien bereits Häuser von den Wassermassen mitgerissen worden.

Pföhler selbst nannte gegenseitige Schuldzuweisungen "völlig deplatziert" und "geschmacklos". Dem Bonner "General-Anzeiger" sagte der CDU-Politiker: "Zur Zeit kann niemand im Bund, im Land oder im Kreis seriös die Fragen nach Verantwortlichkeiten beantworten." Dies müsse später "sehr sorgfältig aufgearbeitet werden", um für künftige Großschadenslagen gewappnet zu sein.

Absolute Priorität habe jetzt die Sicherung der Grundversorgung der von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen, sagte Pföhler dem Blatt. "Für mich steht schon jetzt fest, dass alle vorhandenen Warn- und Alarmierungssysteme auf diesen nie dagewesenen Tsunami technisch nicht vorbereitet waren."

Grünen-Chefin Annalena Baerbock erneuerte im Berliner "Tagesspiegel" ihre Forderung nach einer besseren Bund-Länder-Koordinierung beim Katastrophenschutz. Auch müsse die Vorsorge gegen Folgen des Klimawandels "jetzt mit voller Kraft" angegangen werden. Baerbock warnte allerdings vor verfrühten Schuldzuweisungen nach der Katastrophe.

Eine bessere Anpassung an Extremwetterereignisse forderte auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke): "Diesen Starkregen werden wir nicht mehr los", sagte er dem Portal "t-online". Ramelow verwies allerdings auch auf Grenzen der Vorsorge: "Wir können nicht alles zubauen". Als letztes Mittel schloss er Enteignungen in hochwassergefährdeten Wohnlagen nicht aus. Auch müsse Schluss damit sein, "rücksichtslos die Landschaft zu versiegeln".

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zeigte sich offen für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Wenn es hierzu eine Einigung der Länder gebe, "wird der Bund dem sicher nicht entgegenstehen", sagte Scholz der Funke Mediengruppe. Allerdings würde eine solche Versicherungspflicht "die Preise fürs Wohnen wieder teurer machen", gab er zu bedenken. Scholz unterstützte auch Forderungen nach der Einrichtung eines Katastrophenfonds von Bund und Ländern für die Zukunft.

In Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hatte extremer Starkregen vor mehr als zwei Wochen verheerende Überschwemmungen ausgelöst. Viele Gemeinden, insbesondere im Ahrtal, wurden verwüstet. Rheinland-Pfalz meldete bislang 135 Tote, 59 weitere Menschen werden dort noch vermisst. In Nordrhein-Westfalen gab es 47 Todesopfer.

FDP und Grüne fordern eine Bundestags-Sondersitzung Anfang August, um über die Lage nach der Flutkatastrophe sowie notwendige Konsequenzen zu sprechen.

(felt/zim/AFP/epd)
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