Stadtteilserie Mein Wermelskirchen Ruhige Gegend, aber „komisches“ Viertel

Wermelskirchen · Seit 50 Jahren wohnt das Ehepaar Roswitha und Manfred Gösser an der Goethestraße.

 Roswitha (78) und Manfred Gösser (81) in ihrem Garten an der Goethestraße.

Roswitha (78) und Manfred Gösser (81) in ihrem Garten an der Goethestraße.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Es waren die Wirrungen des Zweiten Weltkrieges, die Roswitha Gösser zu einem Mädchen des Ostviertels werden ließ: 1939 in Neuss geboren, verschlug sie die Stationierung des Vaters nach Polen. Von dort folgte nur wenige Jahre später die Flucht über Thüringen zum Großvater nach Wermelskirchen. Roswitha Gösser landete in der Wirtsmühler Straße und wurde ein Mädchen des Ostviertels.

Seit 1955 wohnt sie in der Goethestraße, nach dem Kennenlernen und Heirat kam 1968 ihr Ehemann Manfred, der aus Wuppertal stammt, hinzu. Die Eheleute sind heute eine „feste Bank“ in den Gegend, die im Volksmund wegen einiger Straßennamen nach berühmten Komponisten gerne „Musikerviertel“ genannt wird – nur wenige Nachbarn leben länger dort als das Ehepaar Gösser.

Der 81-Jährige und die 78-Jährige bewohnen eine Wohnung auf der dritten Etage in einem altehrwürdigen Haus, das ihr Eigentum ist. „Wir sind nicht ganz sicher, wann das Haus gebaut wurde, entweder 1908 oder 1912“, sagt Manfred Gösser. Die wenigen Altbauten in dem Viertel standen schon dort, als ringsherum Wiesen und Obstbäume das Bild prägten. „Damals konnten wir bis ins Eifgental blicken“, erinnert sich das Ehepaar. Das geht heute nicht mehr, in den Jahrzehnten der 1960er- bis 1980er-Jahre entstand die dichte Wohnbebauung im Umfeld. Diese sei auch das wesentlichste Geschehen im Viertel gewesen, stellen Roswitha und Manfred Gösser im Rückblick auf die vergangenen 60 Jahre fest: „Wir haben noch das Glück, dass wir hinter dem Haus einen ansehnlichen Garten haben.“ Den gestaltete übrigens ihr Sohn, der selbstständiger Garten- und Landschaftsbauer ist. Das Ehepaar Gösser verdiente seine „Brötchen“ einst in der Firma von Roswitha Gössers Vater – einer Handelsvertretung: „Wir sind schon eher eine Unternehmerfamilie.“

Die unmittelbare Nähe des Ostviertels zur Innenstadt habe Vor- und Nachteile, meinen Roswitha und Manfred Gösser: „Die Infrastruktur stimmt, wir haben eine Bushaltestelle in der Nähe und können Möglichkeiten zum Lebensmitteleinkauf gut erreichen.“ Die Nachbarschaft sei bedauerlicherweise eher lose: „Viele ältere Menschen haben hier gelebt. Es setzt ein Generationswechsel ein.“ Obendrein stellt das Ehepaar Gösser gerade in den Mietwohnungen in der Nachbarschaft eine hohe Fluktuation der Bewohner fest: „Man kennt sich vom Ansehen und grüßt sich – das war es aber auch.“ Und Manfred Gösser schätzt ein: „Ich glaube, dass in der Gegend die Mieten ziemlich teuer sind.“

Der Zusammenhalt der Nachbarn auf dem Land sei wohl deutlich stärker, vermuten Roswitha und Manfred Gösser: „Es ist ein komisches Viertel - hier bei uns wird man nicht so richtig warm.“ Obendrein würden die häufig in Nachbarschaften Brücken bauenden Kinder im Viertel fehlen, meint Roswitha Gösser: „In unserer Nachbarschaft wohnen kaum noch Kinder oder Jugendliche. Als ich 15 Jahre war, wurde draußen auf der Straße Federball gespielt. Alle Nachbarn haben das Licht angemacht, damit wir in der Dämmerung ausreichend Sicht hatten.“

Alles in allem könne das Viertel nach wie vor als „ruhige Gegend“ bezeichnet werden, beschreiben Roswitha und Manfred Gösser. Unruhe habe natürlich der naheliegende Schulkomplex gebracht. „Wir hatten Zeiten, da haben wir uns beschweren müssen. Hier wurden Mofa-Rennen auf der Straße gefahren oder im Erdgeschoss flogen Butterbrote durch das offene Fenster ins Haus. Das war schlicht ganz schlechtes, katastrophales Benehmen“, erzählt das Ehepaar. Das sei jedoch inzwischen wieder deutlich besser und angenehmer geworden.

Im Wohnzimmer zeugen Pokale und Urkunde vom einstigen Hobby von Roswitha und Manfred Gösser. Mit ihren Oldtimern nahmen sie an Treffen und Ausfahrten teil. Ein Ford Anglia-Cabrio oder ein Vauxhall (englischer Opel) aus dem Jahr 1937 nannten die Gössers einmal ihr Eigen. „Das geht jetzt körperlich nicht mehr“, stellt Manfred Gösser fest. Ähnlich stellt sich bei dem anderen Hobby des Ehepaars dar: Seit 2004 waren sie gerne mit einem Campinganhänger in Tirol, Norwegen, in der Steiermark oder an Nord- und Ostsee unterwegs. Den Camper haben die Eheleute Gösser zwar noch, aber: „Uns fehlt langsam die Traute, die langen Strecken zu fahren.“

Für Roswitha und Manfred Gösser steht fest, dass sie das Ostviertel nicht verlassen wollen. In ihrem Zuhause steckt eine über hundertjährige Geschichte, von der die jüngsten Jahrzehnte von der Familie geprägt wurden: Sohn und Tochter von Roswitha und Manfed Gösser wuchsen hier auf, die beiden Enkelkinder sind mit 14 und 17 Jahren inzwischen im „besten“ Teenageralter. Wenn es irgendwann nicht mehr anders gehe, müsse eben ein Stuhllift die 50 Treppenstufen zur Wohnung überbrücken.

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