Neuss Neusser Arzt betreut Flüchtlinge im Heim

Neuss · Hans-Werner Kernbach hat neben seiner Praxis in Erfttal eine neue Aufgabe übernommen: Im ehemaligen St.-Alexius-Krankenhaus versorgt der 61-Jährige die Asylbewerber. Das ist dem Mediziner ein Herzensanliegen.

 Eine der Aufgaben des Neusser Arztes Hans-Werner Kernbach sind Tuberkulose-Screenings bei den ausländischen Patienten.

Eine der Aufgaben des Neusser Arztes Hans-Werner Kernbach sind Tuberkulose-Screenings bei den ausländischen Patienten.

Foto: woitschützke

In der Praxis des Allgemeinmediziners Dr. Hans-Werner Kernbach in Erfttal hängt ein Zitat des Philosophen Paracelsus: "Der höchste Grund der Arznei ist die Liebe." Diese Weisheit scheint Arbeits- und Lebensmaxime des 61-Jährigen zu sein. Seit fast 20 Jahren hat Kernbach in dem Stadtteil, in dem rund 60 verschiedene Nationen leben, seine Praxis. Seit November ist sein Patientenkreis noch internationaler geworden: Kernbach ist Hausarzt im ehemaligen St.-Alexius-Krankenhaus, wo rund 150 Asylbewerber leben.

An drei Tagen in der Woche fährt Kernbach in seiner Mittagspause zum "Alex". Dort erwarten ihn zahlreiche Patienten. Auf langen Bänken sitzen sie vor dem Behandlungszimmer. Die meisten von ihnen sind Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ländern wie Somalia, Syrien, Äthiopien, Iran, Irak oder Ghana.

Kernbach hat in der neuen zentralen Anlaufstelle des Landes NRW zwei Aufgaben: "Zum einen bin ich als klassischer Hausarzt tätig", erzählt er. Zum anderen ist er verantwortlich für das Tuberkulose-Screening bei Patienten unter 16 Jahren und bei Schwangeren. "Dafür mache ich einen Tuberkulin-Hauttest", erklärt der Mediziner. Dafür sticht er in den Unterarm — entsprechend groß das Geschrei bei den zumeist kleinen Patienten. Bei über 400 Kindern hat er den Test schon gemacht. Manchmal unter Widerstand: "Einmal trat mir ein kleiner Junge vors Schienbein", so Kernbach. "Ich hatte sein Brüderchen gestochen und als es bitterlich weinte, meinte der Junge, ihm helfen zu müssen." Ein anderes Mal musste er einen wütenden Vater beruhigen. "Der dachte, ich würde seinem Kind etwas injizieren", erzählt Kernbach.

Solche Situationen bringen ihn aber nicht aus der Ruhe. "Mir tut es unheimlich gut, im Alexius tätig zu sein. Hier bin ich noch ein richtiger Doktor." Dabei wird er auch mit schweren Fällen konfrontiert. So behandelte der Arzt einen Iraner, auf dessen Rücken offenbar zahlreiche brennende Zigaretten ausgedrückt worden waren. Kernbach erzählt auch von dem Fall eines Mannes, der nachts nicht zur Ruhe kommt. "Er wurde immer nachts verhört und hat seitdem panische Angst, dass seine Folterer ihn wieder holen." Der Arzt bekommt vieles zu sehen, darunter auch seltene Erkrankungen, vor allem Hautkrankheiten. Alles muss er dokumentieren. Da die Flüchtlinge in der Regel keine Krankenversicherung haben, werden ihre Personalien auf Extra-Bögen inklusive der Diagnose erfasst. Diese gehen dann direkt an die Bezirksregierung Arnsberg. Sie ist landesweit für die Unterbringung der Asylbewerber zuständig.

Die neue Doppelbelastung macht dem Arzt nichts aus: "Das ist positiver Stress. Denn die meisten Patienten sind dankbar, dass sie behandelt werden." Während er dies sagt, dreht er sich zu einer Mutter um, die ein sichtbar krankes Kind auf dem Arm trägt. Kernbach beruhigt das Kleinkind auf Französisch. In zahlreichen Sprachen kann er sich verständigen. "In meiner Praxis habe ich viele Patienten aus der Türkei, aus Russland und Polen", sagt der Arzt. Jetzt hat er noch ein paar Wörter Arabisch dazugelernt. Denn Kernbach will seine Patienten nicht nur behandeln, sondern auch verstehen: "Schließlich bin ich Anwalt meiner Patienten."

(NGZ/rl)
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