Edward Hall "Das deutsche Publikum ist sehr intelligent"

Neuss · Der 46-jährige Regisseur Edward Hall gehört mit seiner Propeller Company zu den beliebten Gästen des Shakespeare-Festivals im Globe.

 Der Regisseur Edward Hall bei den Proben mit einem Schauspieler.

Der Regisseur Edward Hall bei den Proben mit einem Schauspieler.

Foto: Helen Maybanks

Neuss/London Mit seiner Propeller Company reißt Edward Hall seit Jahren begeisterte Fans beim Shakespeare-Festival von den Sitzen. Diesmal bringt die britische Truppe, die nur aus Männern besteht, gleich zwei Stücke auf die Bühne des Globe Theaters: "Twelfth Night" (Was Ihr wollt) und "The Taming of the Shrew" (Der Widerspenstigen Zähmung). Der 46-Jährige ist auch auch Intendant des Hampstead Theatre in London.

Sie müssten Shakespeare-Sonette ja quasi mit der Muttermilch aufgesogen haben – als Sohn von Sir Peter Hall, der in den 1960er Jahren die Royal Shakespeare Company gegründet hat. Oder wann haben Sie begonnen, sich dafür zu interessieren?

Edward Hall Durch meinen Vater bekam ich die Möglichkeit, schon als Kind viele Stücke zu sehen. Allerdings hatten wir ein eher distanziertes Verhältnis, wie es seinerzeit oft zwischen Eltern und Kindern bestand. So entwickelte ich meine Beziehung zu Shakespeare erst später als Schauspieler und Regisseur – es gibt ja so viele Stücke, man kann nie aufhören, sich damit zu beschäftigen... Shakespeare ist für mich vor allem ein brillanter Geschichtenerzähler. Bei ihm haben kleine ebenso wie große Szenen immer eine hohe epische Qualität. So nimmt er sein Publikum mit auf eine Reise und weiß dabei genau, wie nahe Komik und Tragik beieinander liegen.

Vor fast 20 Jahren haben Sie die Propeller Company gegründet...

Hall Ja, 2015 feiern wir Jubiläum.

USA, Spanien, Italien – Ihr Tourneeplan ist beeindruckend. Wie finden Sie Schauspieler, die auf den vielen Reisen gut miteinander auskommen?

Hall Oh, das funktioniert fast immer – weil wir uns gemeinsam so intensiv mit den Stücken befassen. Diese wurden schließlich für Schauspieltruppen geschrieben. Es gab keine Regisseure im Theater der elisabethanischen Zeit, nur einen Spielleiter. Und wenn eine Truppe wie wir zwei Shakespeare-Stücke an so vielen Orten aufführt, dann erzeugt das Energie und eine gute Atmosphäre. Die Arbeit schweißt zusammen und macht uns glücklich.

Dann gibt es viele, die mitspielen wollen?

Hall Eine Reihe junger Schauspieler sagt mir, sie hätte ihren Beruf ergriffen, weil sie uns in ihrer Schulzeit auf der Bühne sah. Einige von ihnen gehören heute zur Truppe. Deren Zusammensetzung ändert sich übrigens nicht oft, weil ich am Ende jeder Tourneezeit alle einlade, beim nächsten Mal wieder mit dabei zu sein. Das ist meine Garantie für alle Mitspieler. Sie bekommen keinen Vertrag, können aber von den Erfolgen der Inszenierungen profitieren, denn diese sind ja auch ihr Verdienst. So kommt es, dass in den fast 20 Jahren nur 50 Schauspieler bei Propeller waren und sind – manche machen zwischendurch eine Pause und kommen wieder.

Frauen fanden sich aber nie darunter...

Hall Ich habe viele Stücke mit Akteuren beiderlei Geschlechts inszeniert, im Londoner West End oder in Shakespeares Geburtsstadt Stratford-upon-Avon zum Beispiel. Es hat mehr mit der Truppe zu tun, dass bei Propeller nur Männer auftreten. Anfangs fand ich eine Synthese zwischen der Gegenwart und der Shakespeare-Zeit interessant, indem ich die Ideen von damals in eine zeitgenössische Umgebung brachte. Das hatte etwas mit Parodie zu tun. Inzwischen machen wir einfach weiter als Männertruppe, das hat für mich keine tiefe Bedeutung mehr.

Welche Rolle spielt Musik bei Ihren Inszenierungen?

Hall Eine große Rolle! Um Gefühle und Stimmungen zu erzeugen – wie in "Twelfth Night" – ist sie notwendig, um tragische, komische oder romantische Momente zu unterstützen. Bei "The Taming of the Shrew" haben wir sogar versucht, für jede Figur eine eigene Erkennungsmelodie zu finden. Erstaunlicherweise sind viele Schauspieler musikalisch, auch wenn sie darin keine Ausbildung haben, und können auf diese Weise instinktiv Gefühle ausdrücken.

Die beiden Stücke, mit denen Sie jetzt ins Globe kommen, haben Sie dort schon vor sechs Jahren gezeigt.

Hall Stimmt, aber es gibt diesmal eine neue Besetzung, und ich finde beide besser und ausgereifter denn je. Spannend daran ist, dass auf unterschiedliche Weise Liebesgeschichten erzählt werden. "The Taming of the Shrew" wurde von einem jungen Autor geschrieben, der alle Möglichkeiten der Bühne ausprobiert – und es geht darum, dass wir in Partnerschaften fürsorglich mit unserem Gegenüber umgehen sollten. Für mich ein Kommentar zu arrangierten Hochzeiten. Mit "Twelfth Night" soll hingegen meiner Meinung nach ausgedrückt werden, dass Liebe keine Frage des Geschlechts ist.

Spielen Sie für das hiesige Publikum anders als für Muttersprachler?

Hall Nein, wir ändern nichts. Allerdings begreift das deutsche Publikum Humor und Ironie in unseren Inszenierungen oft schneller als das englische. Es ist sehr intelligent!

Wie kommt es, dass Sie in Deutschland bislang nur in Neuss gastieren?

Hall Das Shakespeare-Festival gehörte Mitte der 1990er Jahre zu unseren ersten Tour-Stationen – damals unter anderem vermittelt über den Leiter des Watermill Theatre, Jill Fraser. Er gehörte zu den Mitbegründern der Propeller Company und hatte viele internationale Kontakte. Seitdem kommen wir jedes Jahr, in eine andere deutsche Stadt hat man uns bisher leider noch nicht eingeladen. Ein Auftritt in Berlin wäre wunderbar.

NATASCHA PLANKERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(NGZ)
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