Kreis Kleve Wenn das Heim die Familie ersetzt

Kreis Kleve · Die 17 Jahre alte Rubina wohnt in der Mariengruppe des Wachtendonker Kinderheims. Seit ihrem zweiten Lebensjahr ist sie von ihrer Familie getrennt. Im Alltag muss sie manchmal mit Vorurteilen kämpfen. Sie sehnt sich nach einer Familie.

Als eine Mitschülerin mal über ihre Mutter meckerte, konnte Rubina nur mit dem Kopf schütteln. "Sei ehrlich mal froh, dass Du die hast", war damals ihre Antwort. Denn eine eigene Familie hat die 17-Jährige nicht. Statt im "Hotel Mama", wie ihre Mitschüler, lebt sie in Geldern in einer Wohngruppe des Wachtendonker Kinderheims.

Aktuell sind dort fünf Mädchen. "Wir haben hier einen Putzplan, gehen selber einkaufen und kochen", sagt die Jugendliche. Morgens, bevor Rubina sich auf den Weg zum Praktikum macht, schaltet sie den Fernseher ein. "Damit ich mich nicht so alleine fühle", sagt sie. Als sie zwei Jahre alt war, kam sie ins Kinderheim. Ihren leiblichen Vater kennt die junge Frau nicht. Mit vier Jahren kam sie in eine Pflegefamilie. Es folgten viele Umzüge. Seit einem Jahr ist sie in der Mariengruppe in Geldern.

"Nach langer Zeit habe ich wieder das Gefühl von Vertrauen", sagt die junge Frau. Mit den anderen Jugendlichen in der Gruppe kann sie über ihre Ausbildung zur staatlich geprüften Servicekraft quatschen. Drei Mal in der Woche wird zusammen gekocht und Sonntag morgens gemeinsam gefrühstückt. "Mit frischen Brötchen und Eiern. Da sagt keiner: Ich schlafe länger", erzählt Rubina.

Die Betreuer haben immer ein offenes Ohr für sie. "Wir gehen auch schon mal zusammen ins Kino oder bowlen." Trotzdem sagt die 17-Jährige: "Man kann das Gefühl von Familie nicht ersetzen." Ihr fehlt ihr jüngerer Bruder, der im Anna-Stift in Goch wohnt. "Ich habe eigentlich nur mich selbst."

Gut, dass es da auch noch ihre beste Freundin Jenny gibt. Sie kommt oft zu Besuch. Übernachten ist aber nicht möglich. Auch, wenn Rubina woanders übernachten möchte, muss sie ganz genau sagen, bei wem sie ist, die Adresse angeben, und so ohne weiteres geht das auch nicht. "Das ist schon anders als in einer Familie." Wie Familie sein kann, hat sie vergangenes Weihnachten bei ihrem Ex-Freund erlebt. "Das war unglaublich. Die haben eine sehr große Familie. Es war für mich wie eine Bilderbuchgeschichte", erinnert sie sich. "Es war der schönste Moment in meinem Leben."

Ungern denkt sie daran, dass sie bald 18 Jahre alt wird und demnächst aus dem Heim ausziehen müsste. Sie möchte aber einen Antrag auf Verlängerung stellen, denn sonst muss sie bald in die erste eigene Wohnung ziehen. Erst einmal aber sucht sie jetzt einen Ausbildungsplatz für die Zeit nach dem Schulabschluss.

Ihre Arbeitgeber haben kein Problem damit, dass sie im Heim wohnt. "Die haben zugehört und sogar Interesse gezeigt", sagt Rubina. Anders als einige ihrer Klassenkameraden. Von denen musste sie sich Vorurteile über Heimkinder anhören. Das Wort "asozial" fiel. "Ich finde, keiner darf alle über einen Kamm scheren", sagt Rubina. Jeden Morgen steht sie selbstständig auf, macht sich fertig für ihr Praktikum. "Ich will mein eigenes Leben in den Griff kriegen."

Später möchte sie eine Familie haben. "Meinen Kindern soll es gutgehen, und ich kann mich ja auch wohlfühlen, wenn ich meine eigene Familie habe", sagt die Jugendliche mit Blick in die Zukunft. "Auf irgendeine Art habe ich hier auch meine Familie", sagt sie dann über die Mariengruppe.

Wenn sie abends vom Praktikum heimkommt, darf sie einfach nur eine ganz normale Jugendliche sein. Sie hört Musik und zeichnet gerne, so, wie viele andere Mädchen in ihrem Alter.

(RP)
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