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Kevelaer Er lässt England nicht gehen

Kevelaer · Während England Europa den Rücken kehrt, wendet sich ein Mann aus Kevelaer dem Land zu: Peter G. Michels hat einen Shop mit britischen Fan-, Lebensmittel- und Nostalgie-Artikeln eröffnet. Es sei der ideale Zeitpunkt, meint er.

 Peter G. Michels hat seinen Laden vor rund einem Monat in Kevelaer eröffnet.

Peter G. Michels hat seinen Laden vor rund einem Monat in Kevelaer eröffnet.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Der Laden von Peter Michels hat sieben Fenster. „Sieben Fenster, in denen ich sie kriegen kann“, so sagt es der Geschäftsinhaber selbst. Im ersten Fenster: Dosen mit gebackene Bohnen. Im nächsten ein TV-Bildschirm, auf dem eine Reise mit eigenem Chauffeur nach England in einem blauen Londoner Taxi angeboten wird. Im dritten eine Kleiderpuppe im Glitzerpaillettenkleid mit britischer Flagge.

Vor vier Wochen hat Michels seinen Laden „Mortimer’s Shop & Travel“ in Kevelaer aufgemacht. Auf 110 Quadratmetern Geschäftsfläche reihen sich nostalgische, kitschige und köstliche Englandartikel aneinander. Was auf den ersten Blick wie ein Scherz oder eine Trotzreaktion auf die langwierigen Brexit-Verhandlungen wirkt, ist jedoch Michels’ voller Ernst. „Bloß weil ein paar Rechtspopulisten in England alles durcheinander gebracht haben, ist es trotzdem noch eines der schönsten und vielfältigsten Länder, die wir in Europa haben“, sagt der 55-Jährige. Er ist der Meinung, dass jeder etwas mit dem Land verbinde – ob Sehnsuchtsort oder Punk­rock-Kultur.

Er hat selbst über mehrere Jahre in England gelebt und gearbeitet: London, Sheffield, Nottingham. Michels hat ein Diplom in Marketing, ist Restaurantmeister, Küchenmeister und Berufskraftfahrer, und das, obwohl er eigentlich auch gut auf einer Bühne stehen könnte.

 London-Kulturtäschchen, Diana-Gedächtnis-Artikel und High-Tee-Service – in Peter Michels’ Laden gibt es eine Vielzahl an britischen Souvenirs.

London-Kulturtäschchen, Diana-Gedächtnis-Artikel und High-Tee-Service – in Peter Michels’ Laden gibt es eine Vielzahl an britischen Souvenirs.

Foto: Marie Ludwig

Michels humpelt zum Türrahmen. Beim Anbringen der Außenwerbung ist er von der Leiter gefallen und hat sich das Bein verletzt. Nun steht er dort, bereit, ein Erlebnis aus der vergangenen Woche nachzuspielen. Michels ist jetzt eine 51-jährige Frau. Mit Schnappatmung steht er, also sie, nun dort, hebt langsam den Zeigefinger nach vorn und deutet mit starrem Blick in ein Regal auf einen schwarzen Ring. „Ist das der eine Ring?“, fragt Michels mit erstickter Stimme und meint damit nicht den EINEN aus „Herr der Ringe“, sondern eine funkelnde Nachahmung von Dianas Verlobungsring. Viele seiner Kunden verbinden mit England die märchenhafte Geschichte der Königshausmitglieder.

Für andere wiederum bedeutet England etwas ganz anderes. Michels wechselt die Rolle: Er ist nun Mitte 70, ein Rechtsanwalt im Ruhestand, bewegt sich gediegen zwischen den Tischen mit London-Kulturtäschchen, Diana-Gedächtnis-Artikeln und Handtaschen umher, bleibt abrupt stehen und platzt heraus: „Ich will alle CDs von The Who! The Who. Wissen Sie?“

Dass Michels CDs von The Who verkaufen wird, hatte er nicht geplant. Eigentlich habe er das Geschäft nur aufgemacht, um einen Platz für seinen Schreibtisch zu haben. „Den restlichen Platz musste ich ja auch irgendwie füllen“, sagt er. Alles hat mit einem alten Londoner Taxi angefangen. „Einfach so“, rechtfertigt er den Spontankauf heute. Und leider erlitt er auch „einfach so“, wenige Stunden später, einen Herzinfarkt. Michels lag für mehrere Wochen im Krankenhaus.

In der Reha überlegte er gemeinsam mit einem Freund, was er nun mit dem Taxi anstellen solle. Die Idee kam schnell. Michels wollte Taxi-Fahrten aus NRW nach England anbieten. Er als Chauffeur, zwei Routen zur Auswahl: Die eine führt nach London, die andere nach Südengland, seine „Rosamunde-Gedächtnis-Tour“, wie Michels sie liebevoll nennt. Im November und Dezember sei er komplett ausgebucht gewesen. Er sei nicht der „24-Stunden-Baybysitter“, aber er kenne eben Ecken, die keiner kennt.

 Den selbst gemachten Osterstrauch hat Michels von einem Kunden geschenkt bekommen.

Den selbst gemachten Osterstrauch hat Michels von einem Kunden geschenkt bekommen.

Foto: Marie Ludwig

Dass seine Touren mit dem nahenden Brexit möglicherweise wegen Einreiseauflagen künftig nicht mehr so einfach sein könnten, daran glaubt Michels nicht. „Das ist technisch doch gar nicht möglich. England kann sich das gar nicht leisten“, sagt er. Michels zündet sich eine Zigarette an, wischt sich gedankenverloren ein bisschen Asche von seinem rot-grün-blau gestreiften Pulli. Vor ihm auf dem Schreibtisch steht ein kleiner Osterstrauch mit handbeklebten Ostereiern – ein Geschenk eines Kunden. „Ich mache nur noch das, was mir Spaß macht“, sagt Michels, atmet Rauch aus und legt den Kopf in den Nacken.

Dann wechselt er das letzte Mal die Rolle. Er ist nun eine 75-jährige Dame, die sich schüchtern zu ihm an den Schreibtisch setzt und ihm verrät, dass sie die Tudor-Flagge hinter ihm an der Wand sehr mag. Ihr Mann sei vor Kurzem verstorben, erzählt die Dame. Er habe Gemälde von Szenen aus britischen Pubs gesammelt. Bei Kaffee mit Kaffeeweißer hecken die beiden einen Plan aus. Die Bilder werden bald als kleine Ausstellung in seinem Laden zu sehen sein.

Michels ist sichtbar gerührt von solchen Begegnungen. „Der Gedanke, mit diesem Laden reich zu werden, ist mir nicht gekommen“, sagt er. Das Arbeiten hier sei einfach pure Emotion. Und egal, wie es mit den Brexit-Verhandlungen weiter gehen wird, für ihn gehört England in all seinen Farben von Baked Beans, Diana-Gedächtnis-Artikeln und CDs von The Who bis zum Glitzerpaillettenkleid einfach immer noch dazu.

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