Serie Vor 116 Jahren Krankenhausbetten aus Kempen

Kempen · Carl Arnold (~1849-1909) begann 1871 zusammen mit seinem Vater Louis (*~1815) in Schorndorf/Württemberg mit der Produktion von Gartenmöbeln, die schon ein Jahr später durch die Herstellung eiserner Bettgestelle erweitert wurde. Seit 1889 betrieb das Unternehmen ein zweites Werk in Stendal/Altmark, eine Schraubenfabrik wurde 1898 in Ernsbach, ebenfalls in Württemberg, eingerichtet. Die Erweiterung der Produktion um Eisenbetten war eine zukunftsweisende Entscheidung, die 1890 durch die Produktion von Stahlrohr- und Messingbetten konsequent weiterverfolgt wurde. Möbel aus Metall waren damals noch nicht - wie wenige Jahrzehnte später - modern, sondern sie waren einfach funktionell und zweckmäßig. In einem Arnoldkatalog von 1912/13 ist zu lesen: "Die Forderungen der Hygiene lassen sich (...) sehr wohl mit Behaglichkeit vereinigen, wenn die Möbel aus Metall hergestellt werden. Das Metall ist ein unbesiegbarer Gegner aller Krankheitserreger."

 Fließbandarbeit in der so genannten Tauchlackiererei der Arnoldwerke in Kempen. Hier sind die Mitarbeiter Willi Kuhlen (rechts) und Peter Niessen bei der Arbeit.

Fließbandarbeit in der so genannten Tauchlackiererei der Arnoldwerke in Kempen. Hier sind die Mitarbeiter Willi Kuhlen (rechts) und Peter Niessen bei der Arbeit.

Foto: Archiv Werner Beckers

KEMPEN Die Kreisstadt Kempen war um 1900 noch eine vorwiegend von Beamten und nicht von Industrie geprägte Gemeinde, etwas verschlafen könnte man auch sagen, wenn man sie mit den Industriezentren an der Ruhr vergleicht. Positiv war der gute Anschluss an das Eisenbahnnetz: seit 1863 die Verbindung Köln-Krefeld-Kempen-Kleve, seit 1868 die Linie Kempen-Venlo, 1870/71 Inbetriebnahme der Industrie-Eisenbahn, des sog. Schluff. Es war vor allem diese gute Schienenanbindung, die Carl Arnold dazu bewog, die vierte Niederlassung seiner Eisenmöbelfabrik in Kempen anzusiedeln. Kempen sollte den Westen des Reiches mit dem Ruhrgebiet und die westlichen Nachbarländer Niederlande und Belgien als Absatzgebiet abdecken und den Anschluss an die Seehäfen bieten. Der Bauplatz für die neue Fabrikanlage lag in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof - verkehrstechnisch ideal. Auch sonst war Kempen für die Ansiedlung nicht schlecht aufgestellt, die städtische Sparkasse und eine Niederlassung des Schaafhausen'schen Bankvereins erleichterten den Zahlungsverkehr, das Post- und Telegraphenamt die Kommunikation mit Kunden und Zuliefern. Sehr viele weitere Industrieansiedlungen gab es (noch) nicht, so dass man mit der Neuanwerbung von Arbeitern keine Probleme haben würde.

Das Kempener Arnold-Werk erhielt die Genehmigung zum Bau am damaligen Schautesweg, der heutigen Arnoldstraße, am 12. April 1901. Den Entwurf des Düsseldorfer Architekten Salzmann setzte der Grefrather Bauunternehmer P.H. Schmitz um. Parallel zur Bahnlinie entstand das dreigeschossige Endmontage- und Versandgebäude (südlicher Teil erst von 1910) mit seinen Rechteckfenstern im Erdgeschoss und Segmentbogenfenstern in den oberen Geschossen sowie den roten Ziegelsteinen, die durch Bänder und Stürze aus gelben Ziegelsteinen gegliedert werden. Nördlich davon lag die Gießerei mit einem prächtigen historistischen Giebel zur Bahnseite. Inmitten des Baukomplexes lagen mit einem davor stehenden Wasserturm Lackiererei, Schlosserei und Maschinen- und Kesselhaus. 1905 wurde direkt am Weg das Röhrenwerk gebaut und gegenüber eine Fabrikantenvilla für den Chef Karl Julius Arnold, Sohn von Carl. Im Kempener Süden wurde zeitgleich ein repräsentativer Hof für seinen Bruder Oskar gebaut. 1914/15 kam ein neues, mehrteiliges Lackiererei-Gebäude mit modernen, viel Licht einlassenden Rechteckfenstern hinzu, dass die Südseite zu der imposanten Dreigiebelfront ergänzte, die heute noch steht.

Schon im Oktober 1901 begann L. & C. Arnold mit 86 Arbeitern die Produktion. Ein Drittel hatte schon in Schorndorf gearbeitet und sollte mit seiner Berufserfahrung helfen, das neue Werk in Betrieb zu nehmen. Für diese Württemberger wurden fünf Wohnhäuser mit insgesamt 20 Wohnungen an der heutigen Oedter Straße errichtet, ein weiteres an der Vorster Straße. Die 50-Quadratmeter-Wohnungen (ohne die zusätzlichen Mansarden- und Dachzimmer) hatten zwei Zimmer, Küche, Vorratsraum und eine Toilette für jede Wohnung auf dem Treppenabsatz. Die Häuser mit ihrem auffälligen Äußeren aus einer Kombination von Backstein und weißem Putz, mit einer gemeinsamen Mostpresse für die Arbeiter und einem eigenen Nutzgarten für jede Partei wurden als "reinste Villen" bezeichnet.

Bis zum Ersten Weltkrieg war die Zahl der Mitarbeiter auf 376 angestiegen, womit Arnold der größte Arbeitgeber Kempens war. Auch wenn man "faulen und langsamen" Arbeitern schnell kündigte, hatte die Firma angesichts der sehr guten Löhne, die sie zahlte, keine Probleme neue Mitarbeiter zu finden. Und wer sich ordentlich anstellte, hatte einen guten und großzügigen Arbeitgeber, der sich bei Weihnachtsfeiern, Karnevalsbällen oder auch Fortbildungsausflügen nicht lumpen ließ, genauso wie er auch der evangelischen Gemeinde Kempens ein großer Gönner war.

Mit einer Belegschaft, bestehend aus Schlossern, Schmieden, aber auch Schreinern, Lackierern und Maschinisten, produzierte man 1913 in Kempen etwa 172.000 Möbelstücke. "Europas größte Eisenmöbelfabrik", wie sich die Firma nannte, war auch nach dem Krieg das führende Unternehmen in der Herstellung von Stahlrohr-Möbeln, daneben produzierte man weiter Gartenmöbel aus Bandeisen. Mitte der 1920er-Jahre produzierten die Arnold-Firmen mit insgesamt 1400 Arbeitern zusammen jährlich rund 360.000 Bettgestelle, 400.000 Gartenmöbel und knapp 200.000 andere Möbel. Es gab wahrscheinlich fast keinen Biergarten in dieser Zeit, in dem nicht Gartenmöbel der Firma L. & C. Arnold standen! Der berühmte Stuhl Nr. 2 ist der Prototyp des Biergartenstuhls, bis heute von Möbelhäusern und Gartencentern in ganz Europa nachgeahmt.

Kein Wunder, dass die Avantgarde der Möbeldesigner wie Mies van der Rohe oder Marcel Breuer auf die Firma aufmerksam wurde und die neuen funktionalistischen Möbel aus Stahlrohr wie die modernen hinterbeinlosen Stühle bei L. & C. Arnold produzieren ließ. Weitere Neuerungen der Folgejahre war die Verwendung von Aluminium für Sitzmöbel (unter anderem für das Luftschiff Hindenburg) oder die Modernisierung von Krankenhausbetten zum Beispiel durch das Anbringen von Rädern und Höhenverstellung. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kempener Arnold-Werk zu einem Drittel zerstört, 1949 konnte man die Produktion wieder aufnehmen. 1952 wurde der kombinierte Nacht- und Betttisch entwickelt, wie wir ihn auch heute noch aus Krankenhäusern kennen. Zu dieser Zeit wurden in Kempen etwa 600 Mitarbeiter beschäftigt. In den 1960er-Jahren wurde vor allem die Automatisierung vorangetrieben, um auf veränderte Produktions- und Absatzbedingungen zu reagieren. Auch wurden Kempen und Schorndorf, die bisher eigenständig waren, Mitte der 1970er-Jahre zusammengefasst. So reduzierte sich die Arbeiterzahl auf etwa 400.

Mitte der 1990er-Jahre beschlossen die Gesellschafter des L. & C. Arnold Firmenverbandes, die mehrheitlich nicht mehr in die Geschäftsleitung eingebunden waren, anstatt eine große Investition zu tätigen, die Möbel produzierenden Werken an das amerikanische Konkurrenz-Unternehmen Hill-Rom zu verkaufen. Damit war das Ende auch des Kempener Werkes eingeläutet, da Hill-Rom die Produktion in die Bretagne verlegte.

Neben den Gebäuden erinnern die Namen Arnoldstraße und Schorndorfer Straße heute noch an den Standort des Werks und seine Ursprünge. Die Württemberger oder Arnoldhäuser stehen auf der Denkmalliste der Stadt Kempen, ihren Ursprung kennen aber viele schon nicht mehr. Der Arnoldchor, 1902 als betriebseigene "Sängervereinigung Arnold" gegründet und immer noch ein reiner Männerchor, bereichert weiterhin das Kempener Kulturleben, wenn auch schon lange nicht mehr alle Mitsänger aus der Arnold-Belegschaft stammen (können). Und nicht zuletzt ist da der imposante Baukörper an der Arnoldstraße selbst, der seit 1995 unter Denkmalschutz gestellt ist. Die beeindruckende Backsteinarchitektur verweist trotz ihrer historistischen Merkmale schon auf die Architektur der Moderne. Vor allem die West- und Südfassade wurde 1995 vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege bezüglich ihres städtebaulichen Erscheinungsbildes als von überragender Bedeutung bewertet. Schade, dass schon 20 Jahre später durch die Bebauung des Geländes dieses Erscheinungsbild fast nicht mehr sichtbar ist.

In der nächsten Folge: Die Gründung der Höheren Mädchenschule in Kempen

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort