Holocaust-Gedenken in Grevenbroich Ein Damm aus 200 Namenssteinen gegen das Meer des Vergessens

Wevelinghoven · Bei einer gemeinsamen Aktion von Geschichtsverein und Schulen halten Schüler die Erinnerungen an die Opfer des Holocaust wach.

 Auf dem jüdischen Friedhof in Wevelinghoven gedachten Schüler und Mitglieder des Geschichtsvereins der Holocaust-Opfer.

Auf dem jüdischen Friedhof in Wevelinghoven gedachten Schüler und Mitglieder des Geschichtsvereins der Holocaust-Opfer.

Foto: Georg Salzburg(salz)

Sechs Millionen? „Diese Zahl kann man sich nicht vorstellen“, sagen Hannah und Cemre (beide 15). Aber diese 200 Steine hier – die sind real. Die kann man anfassen und erfassen. Sie tragen die Namen und die Geburtsdaten von 200 Juden, die allein aus dem Stadtgebiet des heutigen Grevenbroich in die Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden.

Ganze Familien sind darunter – bis zu 15 Mal derselbe Nachname; die 85 Jahre alte Großmutter wurde ebenso ermordet wie die erst drei Jahre alte Recha Katz aus Wevelinghoven. 200 Menschen und ihre Geschichten – in dieser unvorstellbaren Zahl von sechs Millionen Holocaust-Opfern. Knapp 100 Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule und der Diedrich-Uhlhorn-Realschule erinnern an die Schicksale.Es regnet, es ist kalt und der jüdische Friedhof liegt am äußersten Rand von Wevelinghofen, jenseits der Schnellstraße. „Ich bin zum ersten Mal überhaupt hier – und bin ein wenig entsetzt“, gesteht Cornelia (16). Ein paar verwitterte Grabsteine stehen hier – weit abseits der Siedlung. Der Rasen ist verfilzt. Nirgends hängt ein Schild. Der im Oktober 2011 von Künstler Norbert Hompesch und Steinbildhauerin Brigitte Raubler gesetzte Gedenkstein mit dem Davidstern verhindert, dass dieser Flecken zu einem verlorenen Ort wird.

„Die Erinnerung an den Holocaust darf nicht verloren gehen“, fordert Julia (16). Deshalb sind sie hergekommen. Still legen sie die vielen Steine auf und vor den Gedenkstein. Mit einem Stein auf dem Grab sagen jüdische Menschen: „Ich war hier. Ich habe an Dich gedacht.“ An der Gesamtschule sind die Namenssteine beim Tag der offenen Tür entstanden. Dort leitet Lehrer Thomas Jentjens die Aktionen. Ulrich Herlitz vom Geschichtsverein Grevenbroich hat die Namen in jahrelanger Archivsuche zusammengetragen: „Angefangen habe ich mit 90 Namen.“

Zum Beispiel mit Hertha Aussen aus Hemmerden, die am 14. September 1943 abtransportiert wurde und ihrer katholischen Freundin gerade noch eine Karte zuwerfen konnte: „Wir sitzen hier mit 40 Menschen und Gepäck und es ist sehr stickig in dem Viehwaggon.“ Im Drönen der Schnellstraße werden die Namen der Ermordeten verlesen. Manchmal sind nur die Lippenbewegungen zu sehen. Realschullehrer Sebastian Potschka ruft eine Schweigeminute aus.Auf das Erinnerungsfoto will etwa die Hälfte der Schüler nicht. „Euch trifft keine Schuld an dem, was damals geschehen ist“, hat Ulrich Herlitz vom Geschichtsverein gesagt. „Aber wir haben eine Verantwortung gegenüber der Geschichte.“

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