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Palliativnetzwerk Niederrhein Pläne schmieden, wenn das Leben endet

Niederrhein · Die Palliativmedizin hilft, die Beschwerden von Menschen am Ende des Lebens erträglich zu machen. Mehr Lebensqualität erlebt auch ein Ehepaar, bei dem die Frau an Knochenkrebs erkrankt ist.

 Es ist gut, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Die Palliativmedizin will helfen, wenn es bei Krankheit schwierig wird. Es geht um das Zurückgewinnen von Lebensqualität.

Es ist gut, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Die Palliativmedizin will helfen, wenn es bei Krankheit schwierig wird. Es geht um das Zurückgewinnen von Lebensqualität.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

In einer Ecke steht der Fernseher. Statt eines Schreibtisches ist gegenüber dem Fenster eine Kommode mit Medikamenten. „Das war mal mein Arbeitszimmer“, sagt der Mann, der neben dem Bett seiner Frau sitzt. Ein Krankenbett. Seine Frau sitzt aufrecht, vor einigen Wochen wäre das nicht denkbar gewesen. Die Situation kann sich tagtäglich auch verschlechtern. „Es ist eine todbringende Krankheit. Sie schreitet voran. Krebs, der die Knochen zerstört“, sagt die 55-Jährige sachlich. Das Ehepaar möchte anonym bleiben.

Sie habe die ganze Maschinerie im Krankenhaus durchlaufen und irgendwann für sich keinen Sinn mehr darin gesehen. Nach dem letzten Krankenhausaufenthalt mussten die Sanitäter sie ins Bett tragen. Den Morgen, als sie zur Strahlentherapie gefahren werden sollte, beschreibt ihr Mann als „Chaos hoch 25“. Vor Schmerzen konnte sie sich nicht rühren.

Neben ihrem Bett sitzt auch Lisa Laacks. Sie ist Palliativschwester. Ihre Aufgabe ist es, die Symptome zu lindern. Dazu gehört auch die Behandlung von Schmerzen. Für die Angehörigen von Patienten gibt es immer auch ein Notfall-Paket. Das enthält Mittel gegen Übelkeit, Schmerzen, Luftnot, gegen Verschleimung und das Rasseln, das am Ende des Lebens auftreten kann. Angehörige sind bei der Palliativpflege mittendrin und können mit anpacken. Der Ehemann am Bett nickt wissend.

Als die Ärztin der an Knochenkrebs erkrankten Ehefrau riet: „Sie bleiben zu Hause. Wir gucken, dass die sich erholen“, war es kurz vor Weihnachten, und der Vorschlag klang unwirklich. Klar habe man sich Gedanken gemacht, über Hospiz und Pflege, sagt ihr Mann. Mit dem Palliativpflegedienst habe er die Rückendeckung, die er braucht. „Wenn die nicht da wären, könnte ich nicht mehr zu Hause sein“, sagt seine Frau. Zur „Rückendeckung“ gehört mehr als nur die gezielte Gabe von Medikamenten. Auch Juliane Mallmann schaut regelmäßig bei dem Paar vorbei. Sie ist Psycho-Onkologin. „Der Begriff ist verwirrend“, gibt die gelernte Kinderkrankenschwester und Sozialpädagogin zu. Denn nicht nur Krebspatienten werden von ihr begleitet, sondern auch alle anderen Menschen mit einer schweren Erkrankung.

Was sie eint: Alle bewegt die Frage, wie es weitergeht, nicht nur mit dem Erkrankten, sondern mit der gesamten Familie. „Man muss plötzlich mit sehr vielen Veränderungen zurecht kommen. Auch, dass man bald die Welt verlässt. Das macht mir sehr viel Angst“, gibt die an Knochenkrebs Erkrankte zu. Die Gespräche helfen, die Angst erträglicher zu machen. Panikattacken seien keine Seltenheit, sagt Lisa Laacks vom Palliativpflegedienst. „Bestenfalls ohne Schmerzen, ohne Sorgen“, beschreibt Birgit Kessler, Pflegedienstleiterin vom Palliativnetzwerk Niederrhein, den Abschied aus dieser Welt.

Das Netzwerk sorgt dafür, dass Pflegedienste, Apotheken, Sanitätshäuser und natürlich Ärzte zusammenarbeiten und sich austauschen. Ganz nah am Patienten sind die Palliativschwestern und -pfleger. Kein leichter Job. „Manche Mitarbeiter haben fünf oder sechs Todesfälle die Woche“, sagt Birgit Kessler. Das liegt vor allem daran, dass viele „leider oft sehr spät ins System kommen“. Der Schritt zur Palliativpflege fällt vielen schwer oder ist nicht bekannt. Das sei schade. „Ich bin noch nicht so weit“, sei eine Aussage, auf die sie immer wieder treffe. Bei Palliativ denken die meisten, ähnlich wie beim Wort Hospiz, direkt, dass Leben sei vorbei. Dabei bedeutet Palliativ ein Stück Wegbegleitung zum Ende hin, in denen auch schöne Momente vorkommen. „Es gibt immer noch Familien, in denen nicht über das Sterben gesprochen wird“, sagt Birgit Kessler. Dabei wäre eine frühe Beschäftigung mit den Möglichkeiten der Palliativpflege gerade auch für Angehörige hilfreich. Sie sind als Unterstützer gefragt. Zum Beispiel können sie mit einem morphinhaltigem Nasenspray ihrem Angehörigen starke Schmerzen kurzfristig nehmen. In einem Letzte-Hilfe-Kursus können Angehörige lernen, welche Handgriffe und Hilfsmittel Schmerzen und Symptome lindern. „Wir tun ganz viel rund um die Geburt, Leute besuchen Kurse, aber immer noch gibt es wenig Modelle, was man tun kann, wenn der Opa stirbt“, sagt Birgit Kessler.

Wegen der Krebserkrankung seiner Frau musste sich der Ehemann damit zwangsläufig auseinandersetzen. „Glücklicherweise kann ich mir meinen Tag so einteilen, dass ich meine Frau pflegen und unterstützen kann“, sagt er. Dankbar ist er für den großen Freundeskreis. In einer Liste trägt sich jeder ein. „Es ist immer jemand da, so dass meine Frau keine Angst haben muss, wenn eine kurzfristige Verschlimmerung auftritt.“ Die kann es immer geben. So wie vor Kurzem. Zur Stabilisierung der Knochen nahm sie Tabletten. Die führten zu Übelkeit. Über Infusionen wurde der Flüssigkeitsverlust ausgeglichen. Weil Essen nicht mehr möglich war, kam die Nahrung über einen Port in den Körper. Mittlerweile geht es ihr wieder besser. Kleine Pläne können geschmiedet werden. Mit dem Treppenlift könnte sie demnächst in den ersten Stock fahren. „Dann hätte ich auch Gelegenheit, wieder zu duschen“, sagt sie optimistisch. Bisher musste die Waschschüssel reichen. Und auch die Sehnsucht ist geweckt. Einmal wieder einen Ausflug mit der Familie, dem Mann und den Töchtern machen. Noch ist daran nicht zu denken. Zweifel sind auch da. Sie hat den Landschaftsgärtner organisiert für eine Ecke des Gartens. „Man fragt sich, macht das alles noch Sinn?“, sagt die 55-Jährige gefasst. Palliativschwester Lisa Laacks spricht ihr Mut zu. Wie lange jemand noch zu leben hat, darüber werden keine Prognosen abgegeben. Stattdessen wird nach vorne geschaut. Ganz pragmatisch. Mit dem Rollstuhl könne sie den neu gemachten Teil des Gartens doch gut erreichen. Warum also nicht doch noch Schönes planen?

Zu den Füßen der Frau im Bett liegt eine Katze und schläft zufrieden. Ein Stück Normalität, wenn das restliche Leben Kopf steht.

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