Baum mit eigener Postanschrift Vor fünf Jahren fiel die Kastanie

Himmelgeist · Bürger hatten sich neun Jahre lang gegen die Fällung gewehrt und einen Verein gegründet. Heute ist der Stumpf ein Kunstwerk, direkt daneben wächst eine neue Kastanie.

 Weil die Standsicherheit gefährdet war, wurde die Kastanie am 14. Dezember 2015 weitgehend abgeholzt. Aus dem Stumpf schnitzte später Jörg Bäßler die Skulptur „Jüchtwind“.

Weil die Standsicherheit gefährdet war, wurde die Kastanie am 14. Dezember 2015 weitgehend abgeholzt. Aus dem Stumpf schnitzte später Jörg Bäßler die Skulptur „Jüchtwind“.

Foto: RP/G�nter von Ameln

Rund 200 Jahre war die weißblühende Rosskastanie alt, die am 14 Dezember 2015 bis auf den Stumpf zurückgeschnitten wurde. Dem vorangegangen war ein langer Kampf um den freistehenden Baum, der bis in die höchsten Ebenen der Düsseldorfer Politik geführt wurde. Heute erinnert eine Skulptur im Himmelgeister Rheinbogen an die Arbeit der Bürger aus dem Düsseldorfer Süden, die sich für ihren Baum eingesetzt haben.

„Für die Menschen aus Himmelgeist war die Kastanie der Treffpunkt. Wir haben unsere Kindheit und Jugend hier verbracht, waren im Sommer und im Winter hier, glücklich und traurig. Viele Himmelgeister hatten ihren ersten Kuss im Schatten der Kastanie“, sagt Andreas Vogt. Er gehört zum harten Kern des Freundeskreises der Himmelgeister Kastanie, jener Gruppe von Bürgern, die sich 2006 zusammengefunden haben, als im Benrather Tagblatt berichtet wurde, dass die Kastanie – von einem Pilz befallen und wohl nicht mehr verkehrssicher – gefällt werden sollte. „Wir hatten damals nicht den Eindruck, dass der Baum krank sei“, sagt Andreas Vogt. Und diese Ansicht teilte offenbar auch der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin. 2500 Unterschriften zum Erhalt der Kastanie übergaben Vogt und seine Mitstreiter ihm bei einem Termin im Rheinbogen. “Und Herr Erwin, wie es so seine Art war, guckte sich den Baum an und sagte: Der sieht doch gut aus, der bleibt“, erinnert sich Vogt. Tatsächlich, so das Argument der Baumfreunde, gefährde der Baum, der etwas Abseits der Spazierwege stand, niemanden.

„Wir wussten, dass wir aus dem Baum eine Art Heilige Kuh machen mussten, um ihn zu schützen – irgendwas besonderes“, sagt Andreas Vogt. Durch Zufall stieß seine Frau damals auf die Bräutigamseiche von Eutlin, ein Baum in Schleswig-Holtstein, der seit Generationen als toter Briefkasten für Heiratswillige dient und damals als einziger Baum Deutschlands eine Postanschrift hatte. Seit 2009 gelten die beiden Bäume offiziell als „verheiratet“. „Wir haben uns damals mit der Post in Verbindung gesetzt und eine Adresse für die Himmelgeister Kastanie organisiert“, sagt Vogt. Seither kann man dem Baum schreiben, ein Postbote liefert die Briefe aus, der Freundeskreis kümmert sich um die Beantwortung. Außerdem bekam die Kastanie ein jüngeres Ebenbild: 2007 pflanzte der Freundeskreis eine junge Rosskastanie direkt gegenüber. „Wir wussten ja, dass unser Baum irgendwann fallen wird. Und wir wollten, dass es weiterhin eine Himmelgeister Kastanie gibt“, so Vogt.

Die alte Himmelgeister Kastanie blieb erhalten, überstand die Stürme Kyrill und Ela. Doch mit den Jahren zeigte sich immer stärker der Schaden, den der Pilz dem Baum zufügte. 2015 war die Pflanze zu weiten Teilen abgestorben. Als im November ein acht Meter langer Ast aus der Krone brach, wurde erneut die Fällung beschlossen. Diesmal waren auch die Freunde der Kastanie einverstanden. „Wir wollten aber nicht, dass der Baum einfach in Vergessenheit gerät“, sagt Andreas Vogt heute. So bliebt ein rund fünf Meter hoher Stamm stehen, auf Initiative der Stadt wurde der Kettensägenschnitzer Jörg Bäßler damit beauftragt, eine Skulptur daraus zu fertigen. Noch heute blickt der Baumgeist Jüchtwind über den Rheinbogen. Beim Schnitzen stieß Bäßler auf zahlreiche Granatsplitter und Patronen, die der Baum offenbar während eines Beschusses des Rheinbogens im Zweiten Weltkrieg abbekommen hatte.

Und auch der Freundeskreis ist weiter aktiv, auch wenn Wortführer Andreas  Vogt inzwischen nach Benrath gezogen ist. „Wir beantworten noch regelmäßig Briefe aus dem In- und Ausland, die Kastanie hat sogar Fans, die ihr regelmäßig schreiben“, so Vogt. In den Antworten nennen sich die Mitglieder des Freundeskreises Baumgeister und korrespondieren mit den Schreibenden über Gott und die Welt – und aktuell immer häufiger über die schweren Lebensumstände in der Corona-Pandemie. „Es ist immer wieder schön, wenn sich die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten an die Kastanie wenden“, sagt Vogt. Daneben veranstaltet der Freundeskreis immer wieder etwas– wie etwa die Laubsammelaktion zum Schutz der jungen Kastanie, die allerdings in diesem Jahr wegen Corona ausfallen musste. In den vergangenen Hitzesommern kamen immer wieder Menschen aus Himmelgeist und Itter, um den jungen Baum zu wässern. Aktuell organisieren die Baumfreunde einen Wettebewerb zum Thema Helden des Alltags – der Preis sind handgedrechselte Kugelschreiber aus dem Holz der alten Kastanie. „Ich hätte nie gedacht, dass aus unserer Initiative etwas so Schönes und Großes wird“, sagt Andreas Vogt. Er und seine Mitstreiter sind noch immer aktiv – auch wenn von der Himmelgeister Kastanie nur noch ein geschnitzter Stumpf übrig ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort