Uraufführung beim Düsseldorfer Schumannfest Musikalischer Schwebezustand nach der Pogromnacht

Düsseldorf · Bojan Vuletics Klavierquartett erinnert an düstere deutsche Momente im Jahr 1938. Jetzt erklang das Werk erstmals in der Tonhalle.

 Alina Bercu (Klavier), Christoph Schneider (Klarinette), Egor Grechishnikov (Violine) und Nikolaus Trieb (Cello) bei der Uraufführung.

Alina Bercu (Klavier), Christoph Schneider (Klarinette), Egor Grechishnikov (Violine) und Nikolaus Trieb (Cello) bei der Uraufführung.

Foto: Tonhalle/Diesner

Das Unfassbare lässt sich nicht schildern. Auch Musik stößt irgendwann an Grenzen. Die antisemitische Pogromnacht im November 1938 – auch bekannt unter dem Namen „Reichskristallnacht“ – ist dennoch Gegenstand einer Komposition für Kammerensemble von Bojan Vuletic geworden. Im Rahmen des Schumannfestes wurde das gut einstündige Quartett für Klavier, Klarinette, Violine und Cello in der Tonhalle uraufgeführt.

„Flügel, schwebend“ heißt das Stück, mit dem Vuletic aber gar nicht erst versucht, dem ungeheuren Schmerz und der Verzweiflung der Opfer Klänge zu verleihen. Eine andere Idee steht im Vordergrund: „Ich wollte der Würde der Instrumente im kurzen Moment vor ihrem Aufprall nach dem Sturz aus dem Fenster musikalischen Ausdruck verleihen“, sagt Vuletic im anschließenden Gespräch mit dem Saalpublikum. Rund 100 Gäste waren im Saal, die unter strengen Hygiene-Auflagen und mit negativem Corona-Test dem Konzert beiwohnen durften.

Es sei auch gar nicht sein Anliegen gewesen, besonders modern zu komponieren, daher bewege sich der Musikstil nah an den Epochen, die bis 1938 das Repertoire der Hausmusiker bildeten. Tatsächlich erinnert das Quartett hin und wieder an Schubert, etwas Schumann, klingt an, ebenso Mendelssohn und Mahler, oft ist das Stück freitonal und rhythmisch entfesselt – wie viele Musikwerke im frühen 20. Jahrhundert. Wer mit einem Aufprall oder irgendeinem düsteren Knalleffekt rechnete, dessen Erwartungen oder Befürchtungen wurden nicht erfüllt. Der Komponist bleibt seiner Idee treu, den Schwebezustand der Instrumente zu konservieren, wodurch die Komposition weitgehend lyrisch wirkt.

Einen großen Anteil an der Feinnervigkeit des Konzerts hatten die vier Musiker: Alina Bercu (Klavier), Christoph Schneider (Klarinette), Egor Grechishnikov (Violine) und Nikolaus Trieb (Cello). Das nicht gerade einfach zu spielende Stück klang sehr sorgfältig einstudiert. Das Zusammenspiel gelang famos und die Soli – stellvertretend erwähnt seien die balsamisch leisen Klänge der Klarinette – besaßen ebendie fragile Schönheit, die der Komponist wohl in unsere Zeit hineinretten wollte. Herzlicher Beifall nach einem längeren Moment nachdenklicher Stille.

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