Vom Drama, ein Klon zu sein

In der Literaturverfilmung "Alles, was wir geben mussten" erzählt Regisseur Mark Romanek von drei Menschen, die als Klone geboren wurden, um ihre Organe zu spenden. Doch ist der Film kein Gentechnik-Thriller, sondern erzählt vom Drama zweier Liebender, die zu früh sterben müssen.

In Hailsham ist die Internatswelt noch heil. Die Schule ist in einem trutzigen britischen Herrenhaus mit ehrwürdigem Park untergebracht. Die Rektorin regiert strikt, aber ihr Gesicht ist nicht ohne Güte. Und die Kinder treiben Sport, werden gesund ernährt und musisch erzogen. Viele Stunden verbringen sie im Malersaal, frei ihren Einfällen überlassen. Die rechte Mischung aus Strenge und Fürsorge scheint hier getroffen.

Trotzdem ahnt der Zuschauer früh, dass etwas nicht stimmt in der behüteten Welt von Kathy, Ruth und Tommy. Wenn sie ihr Internat betreten, müssen sie sich an einem Apparat registrieren, regelmäßig kommen Ärzte ins Haus, um sie gründlich zu untersuchen, und wenn alle paar Wochen Geschenke für alle eintreffen, ist es Spielzeugmüll, den keiner mehr will. Diese Kinder werden sorgfältig gehütet, geliebt werden sie nicht. Irgendwann kommt eine neue Lehrerin nach Hailsham und erklärt den Schülern, warum das so ist: Sie sind allesamt Klone, gezeugt, um ihre Organe zu spenden und so die Lebenserwartung natürlich geborener Menschen zu verlängern. Keines der Klonkinder wird viel älter werden als 20 Jahre.

Es ist ein schreckliches Szenario, das der japanisch-britische Autor Kazuo Ishiguro in seinem Roman "Alles, was wir geben mussten" entwirft. Eigentlich ein Science-Fiction-Stoff, doch siedelt Ishiguro seine Geschichte in der Vergangenheit an, lässt die Kinder von Hailsham in den 70er Jahren aufwachsen, abgeschieden von einer Welt, die noch gar nicht über die ethischen Konsequenzen der Biotechnologie nachdenkt. Die Verschiebung ist bedeutsam, denn diese Geschichte will kein Zukunftsthriller sein, nicht über das Für und Wider der Gentechnik diskutieren. Ishiguro geht es um Allgemeingültigeres: Um die Frage, wie man im Gefühl unüberwindlicher Ohnmacht würdig lebt, was Loyalität ist und was ein erfülltes Leben. Und es geht um eine verpasste Liebe, um die Unerbittlichkeit der Zeit also.

Die ernste Kathy verliebt sich in den Außenseiter Tommy, der sensibel ist und jähzornig wie alle Gedemütigten. Doch obwohl er Kathys Gefühle erwidert, hält sich Tommy an die großspurige Ruth. Eine quälende Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf, die niemanden glücklich macht und doch Bestand hat. Obwohl die Drei aus Hailsham doch wissen, dass sie keine Zeit zu verlieren haben.

Im Roman wird das sacht entwickelt. Ishiguro hat schon zuvor bewiesen, wie leise und gerade darum herzzerreißend er von verpassten Chancen erzählen kann. In seinem Roman "Was vom Tage übrig blieb" kann ein Butler die Konventionen seines Standes nicht überwinden, um der Vorsteherin des Hauses seine Liebe zu gestehen. Er lässt sein Leben verstreichen, als bekäme er eine zweite Chance. Auch dieser Roman ist verfilmt worden, und James Ivory machte daraus mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrollen ein anrührendes, herrenhaus-düsteres Drama, das ebenfalls zeigt, wie Menschen in falschen gesellschaftlichen Zwängen verkümmern.

An "Alles, was wir geben mussten" wagt sich nun der amerikanische Regisseur Mark Romanek heran. Mit "One Hour Foto" hat er bereits einen Spielfilm vorgelegt, in dem er in ruhigen, rückblickend erzählten Szenen das Schicksal eines einsamen Mannes rekonstruiert, der bei der Arbeit in einem Fotoladen Bilder einer Familie sammelt, die für ihn zur erträumten Ersatzfamilie wird. Eine manische Geschichte, die Romanek unaufgeregt erzählt. Diesmal jedoch kann er das Schwebende, Stille der Romanvorlage nicht einfangen. Holzschnittartig führt er die Figuren ein und hastet durch die Stationen ihres tragisch kurzen Lebens. Als wäre hier ein Krimi zu erzählen und nicht die vielschichtige, fragile Geschichte dreier Menschen, denen keine Chance bleibt, ihre Beziehung zu entwirren, falsche Entscheidungen zu revidieren – jung zu sein mit der Unbeschwertheit, die die sicher geglaubte Entfernung vom Lebensende schenkt.

Auch ist Romanek wenig originell darin, seinem Film Atmosphäre zu verschaffen. Die Kinder tragen taubengraue Schuluniformen, oft grobes Strickzeug, der Himmel ist meist verhangen, die Natur regenschwer. Das ist so stimmig wie erwartbar.

Dafür harmoniert das Hauptdarsteller-Trio. Überzeugend vor allem Carey Mulligan, die die sanfte, vernünftige Kathy spielt mit einer Introvertiertheit, die nichts Abweisendes hat, sondern Würde ausstrahlt. Mulligan gelingt das wunderbar leicht, durch ihr Lächeln, den wachen Blick, die zurückhaltenden Gesten. Diese junge Frau hat sich entschieden, keine Kraft in aussichtslosen Kämpfen zu vergeuden; sie resigniert, weil sie klug ist und liegt damit doch falsch.

Keira Knightley hat die undankbare Rolle als ihr neidischer Widerpart. Sie spielt die biestige Ruth, die ihrer Freundin den Freund nicht gönnt und spät erkennt, dass sie dadurch Schuld auf sich lädt. Allerdings liegt Kneightley die hämische Rivalin mehr als die reuige Sünderin. Obwohl sie die extrovertiertere der beiden Frauen spielt, ist doch Mulligan die gegenwärtigere in diesem Film. Andrew Garfield gibt den zerknirschten Tommy, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben und hat am Ende eine Szene, die lange nachhallt.

Vielleicht sind wir gar nicht so anders als die anderen Menschen, sagt Kathy einmal, als sie dem eigenen Ende schon sehr nahe ist. Das ist die bittere Pointe dieses Films, der die drastische Geschichte geklonter Menschen nur wählt, um mit größerer Dringlichkeit von einer verpassten Liebe und von verpasstem Leben zu erzählen. Am Wesentlichen vorbeileben kann man auch, wenn man 80 Jahre alt wird. lll

(RP)
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