Eine Frage Des Stils Plörre to go

Die Konsumgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihr Leben einerseits unter Getöse auf immer moderneren Geräten abwickelt (Auto, Computer, Smartphone, Fernseher, Unterhaltungsschnickschnack), andererseits aufs Stilniveau evolutionärer Frühphasen zurückfällt.

Wir merken diesen zweiten Trend vor allem bei der öffentlichen Nahrungsaufnahme. Essen und Trinken sind für viele keine Momente ruhevoller Lebens- und Tagesgestaltung mehr, sondern werden jener unsagbaren Beeilung untergeordnet, mit welcher jenes Konsumgetöse vom Arbeitnehmer täglich erwirtschaftet werden muss. Die Formel für die kostverachtende Getriebenheit des Menschen heißt "to go".

Die "to go"-Mentalität, die uns wie das Fastfood aus den USA erreicht hat, ist der Widerspruch zum Genuss. Unsere Nahrung wird gehetzt an Theken zubereitet, bezahlt und mitgenommen. Essen und Trinken sind die finalen Schluckakte einer Verkostungskette, die nicht das Angenehme des Essens und Trinkens erhöhen will, sondern das Tempo ihrer Abwicklung. "To go" bedeutet kulinarische Einsamkeit.

Die Kundschaft will es so: Wer "to go" nutzt, verweilt nicht, sondern enteilt. Er entkommt dem Ort, der ihm den Kaffee aufbrühte, er nimmt das Getränk mit in seinen Tag, zur Arbeit - oder er setzt sich bei "Starbucks" in eine Ecke und starrt auf sein Notebook. Er isst und trinkt in Hetze und häufig beim Gehen, was weder stilvoll noch gesund ist. Auch die gigantische Zahl junger Frauen, die auf offener Straße mit der Trinkflasche im Anschlag ihrer drohenden Verdurstung entgegenwirken wollen, müsste uns zu denken geben.

Der "to go"-Wahn produziert vor allem viel Müll, denn die zerbrechliche Tasse mutiert zum entsorgungspflichtigen und extrem raumfordernden Kunststoffbecher. In Deutschland werden pro Jahr Milliarden solcher Becher weggeworfen, so berichtet die Verbraucherzentrale Bayern. Und weil die Plörre heiß ist, nimmt der Geher zuweilen zwei Becher übereinander oder lässt sich eine Manschette um den Becher legen.

Das Prinzip des "to go" ist Eile, um nicht zu sagen: Stress. Auch das Personal hinter der Theke muss immer schneller werden, weil die Kundschaft nicht warten, sondern gehen will. Ein seltsamer Akt der Rationalisierung von Zeit. Eines Tages wird auch der Kunde abgeschafft sein. Dann geht der Kaffee selbstständig auf und davon. Coffee to go.

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(RP)
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