Niels Frevert „Ich wollte nie ein lokaler Held sein“

Interview · Niels Frevert ist seit über zwanzig Jahren als Singer-Songwriter Part der deutschsprachigen Musikszene. Im Interview spricht er über sein jüngstes Werk "Putzlicht", die Coronakrise und die Sehnsucht nach einem neuen Hit.

 Singer-Songwriter Niels Frevert bei einem seiner wenigen Konzerte 2020 auf dem Reeperbahn-Festival in Hamburg.

Singer-Songwriter Niels Frevert bei einem seiner wenigen Konzerte 2020 auf dem Reeperbahn-Festival in Hamburg.

Foto: Julia Nemesheimer

Niels Frevert ist einer der spannendsten Künstler in diesem Land. In den 1990er Jahren hatte der Hamburger mal eine Band namens Nationalgalerie, mit der er den Hit "Evelyn" landete. Seit 1997 ist Frevert solo unterwegs. Sechs Alben hat er seitdem veröffentlicht und es ging stets ein Stückchen nach vorne.

Herr Frevert, die Pandemie hat uns weiter im Griff, doch die Hoffnung steigt, dass bald Herdenimmunität besteht. Sie arbeiten neben der Musik seit Jahren nebenher noch in einem Hamburger Musikclub. Corona trifft Sie also doppelt hart, oder?

NIELS FREVERT Ja, auch mein Nebenjob fällt größtenteils flach. Ich will nicht klagen - die alleinerziehende Supermarktkassiererin oder Pflegekraft hat zur Zeit ganz andere Sorgen. Aber es wäre natürlich schon extrem hilfreich, ganz bald wieder vor Publikum spielen zu können.

Was haben Sie in der Pandemie alles gemacht? Wie sah Ihr Alltag so aus?

FREVERT Ich habe alte Lieblingsplatten und Bücher wieder aus dem Schrank geholt. Vielleicht sind es gerade die zeitlosen Klassiker, die in schwierigen Zeiten Halt geben. Außerdem habe ich das Format Hörbuch für mich entdeckt. Und, zugegeben, Zeit bei Youtube verbracht: alte Nina Hagen Interviews gucken, lernen, wie man Spannbettlaken ordentlich faltet - und natürlich schreibe ich an neuen Songs.

Jetzt gibt es erste Konzerte, wie glücklich macht Sie das?

FREVERT Wir durften schon im vergangenen Sommer eine Handvoll Konzerte spielen, wenn auch unter eingeschränkten Bedingungen. Es war für uns und das Publikum ein kurzes Aufatmen. Bitte mehr davon!

Lassen Sie uns über das aktuelle Album sprechen. Was bedeutet der Titel „Putzlicht“?

FREVERT Das ist ein Begriff aus der Gastronomie. Er wird auch im Theater benutzt. Das ist das Licht, das angeht, wenn die Vorstellung, das Konzert oder die Party vorbei ist. Wenn der Club schließt, dann geht das sehr nüchterne Neonlicht an. Dann wird aufgeräumt und aufgeklart. Die Leute gehen nach Hause oder ziehen weiter. Es ist das Ende, aber auch der Anfang von etwas Neuem.

Auf dem Cover sieht man einen Nachtfalter. Was hat es damit auf sich?

FREVERT Er kommt auch im Text von Putzlicht vor. Das ist die berühmte Motte, die ins Licht fliegt.

Was ist für Sie das Besondere am aktuellen Werk?

FREVERT Der größte Unterschied zu den letzten drei Alben ist, dass ich anders gearbeitet habe. Die zurückliegenden Werke sind rein mit akustischen Instrumenten entstanden. Dieses Mal haben wir viele elektrische Gitarren dabei, auch ein paar Keyboards, alte Synthesizer, Vintage Synthesizer, natürlich in Maßen. Es ist dieses Mal einfach ein anderes Sound-Bild entstanden. Und es gibt deutlich weniger Balladen, nämlich nur zwei, der Rest sind eigentlich Uptempo-Nummern. Außerdem habe ich dieses Mal mit Philipp Steinke, einem neuen Produzenten gearbeitet.

Wo liegt der Unterschied zu den letzten Platten?

FREVERT Die letzten drei Alben gingen eigentlich mehr über das Arrangement und das Zusammenspielen. Dieses Mal habe ich bei mir zu Hause Demos gemacht. Mit Bass und Schlagzeug und zwei Gitarren, so wie früher. Und dann haben wir aus diesen Demos eine Vor-Produktion gemacht. Wir haben an den Liedern lange gearbeitet. Ich habe bei jedem Song, einfach um das Beste rauszuholen, auch Kollegen konsultiert, ihnen die Songs vorgespielt und geschaut, ob noch was geht, um die Sache spannender zu machen. Erst, als wir die Vor-Produktion fertig hatten, haben wir den Schlagzeuger angerufen. Und dann haben wir im Grunde noch mal von vorne angefangen.

Von Ihnen stammt der Satz „Ich möchte nicht zu viel sein“. Wie ist das zu verstehen?

FREVERT (lacht) Ich möchte aber auch nicht zu wenig sein. Der Satz fiel in einem bestimmten Zusammenhang. Ich wurde gefragt, warum ich nicht so oft in Hamburg spiele. Doch ich habe es schon immer so gehalten, dass ein Konzert etwas Besonderes sein soll. Ich wollte nie ein lokaler Held sein. Deswegen halte ich mich in Hamburg eher zurück. Ich halte mich auch bei Social Media eher zurück. Das ist mein Naturell. Das heißt aber nicht, dass ich vom Erdboden verschluckt werden will.

Sie nutzen aber Social Media, oder?

FREVERT Auf jeden Fall. Und es macht auch Spaß! Besonders auf Tour kommt da auch so viel freundliches Feedback von draußen. Allerdings leiste ich mir auch mal ein paar Wochen Auszeit zwischendurch, wenn gerade nichts los ist, es nichts zu teilen gibt. Es ist interessant, anderen Künstlern und Künstlerinnen zu folgen. Wenn man genau hinschaut, kann man an der Art und Weise, wie die Social Media Seite gefüttert wird, viel über sie erfahren. Manche Kolleginnen machen das super charmant und mit einer schlafwandlerischen Geschmackssicherheit, bei anderen überwiegen Selbstinszenierung und Eitelkeit - andere wiederum lassen das einfach von ihrem Management erledigen.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Entwicklung als Solokünstler? Sie haben 1997 begonnen. "Putzlicht" ist Ihr sechstes Soloalbum.

FREVERT So voll und ganz zufrieden bin ich selten. Aber ich kann jetzt schon mit etwas Abstand sagen, dass „Putzlicht“ sicherlich einen sehr hohen Stellenwert einnimmt in meiner Diskografie. Es ist ähnlich der „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“, von Veränderung geprägt, was Sound und Arbeitsweise betreffen. Ich habe für „Putzlicht“ seit langem wieder intensiv an den Demo Versionen gearbeitet. Dazu kam natürlich die großartige Zusammenarbeit mit Produzent Philipp Steinke - was für ein begnadeter Musiker! „Putzlicht“ steht für ein zurück zur E- Gitarre, ein kraftvolles Album, noch dazu das erste Album von mir, das komplett in Berlin entstanden ist. Schade nur, dass ich fünf Jahre dafür gebraucht habe (lacht). Aber ich musste mich von meinen ersten Songentwürfen trennen - sie klangen mir einfach zu selbstmitleidig. Das neue Album sollte gerne nach Krise klingen - aber nach einer, die ich hinter mir gelassen habe, nicht nach einer, in der ich immer noch feststecke.

Sie haben mit Grönland Records das Label von Herbert Grönemeyer im Rücken. Ist Ihnen mit "Putzlicht" der nächste Schritt gelungen?

FREVERT Nächster Schritt? Na klar! Für mich als Künstler bestimmt. Und auch in der Aufmerksamkeit des Publikums ist eine Menge passiert. Es sind grad keine einfachen Zeiten für Album-Künstler und solche, bei denen der deutschsprachige Streaming Algorithmus nicht greift. Aber nun - weiter geht's.

Wie groß ist Ihre Sehnsucht nach einem nächsten Hit?

FREVERT Ach, das mit den Hits ist doch auch relativ. Ich kenne Hits, die sind nie im Radio gespielt worden. Unser größter deutscher Songschreiber, Rio Reiser, hat, genaugenommen, seine ganze Karriere lang nie so wirklich prominent im Radio stattgefunden. Sein „Junimond“ hat es damals nicht in die deutschen Single Charts geschafft - trotzdem kann das noch heute jeder mitsingen. Klar, ich hatte in meinem Fall schon die Hoffnung, dass die Single „Immer noch die Musik“ es ins Programm der großen Sender schaffen würde . Und ja, ich habe schon geschluckt, als ich die Liste gesehen habe, welche Sender kategorisch abgelehnt haben, den Song zu spielen - nämlich alle! Aber ich versuche, mit das nicht allzu sehr zu Herzen zu nehmen.

Wie wichtig ist Ihnen Kritik in den Medien? Setzen Sie sich damit auseinander?

FREVERT Ich lese mir natürlich die großen und wichtigsten Sachen durch. Dafür bin ich zu neugierig. Und dafür hat man auch zu viel Zeit und Liebe in die Songs reingesteckt. Ich will das schon wissen, wie es aufgenommen wird. Aber ich gucke sicherlich nicht jeden Kommentar bei YouTube an. Für mich ist Musik-Journalismus auch ein Handwerk. Und ich interessiere mich dafür, wenn es jemand beherrscht. Songwriting ist auch ein Handwerk. Ich liebe, wenn etwas gut gemacht ist.

Eines der schönsten Zitate auf dem aktuellen Album ist: „Ich sehe keine dunklen Wolken mehr, da ist kein dunkles Wolkenmeer“. Fallen Ihnen solche Wortspiele einfach zu? Auch die Textzeile mit den Fransen vom Nachtisch-Lampenschirm...

FREVERT Ich bin tatsächlich immer auf Empfang und schreibe alles auf, was mir in den Sinn kommt. Im Fall der Fransen vom Nachttisch-Lampenschirm hatte ich es danach durchgelesen und mich gefragt, ob ich das schreiben kann. Wenn ich mir diese Frage aber schon stelle, dann weiß ich eigentlich schon, dass ich sie singen muss - dass es am Ende eine meiner Lieblingszeilen sein wird.

Konnten Sie die letzte Platte nicht richtig einschätzen? Heute beschreiben Sie es als innerlich zerrissen.

FREVERT Die Platte bedeutet mir schon viel. Aber es ist tatsächlich von allen bisherigen Alben, die ich bisher solo aufgenommen habe, das Werk, dass ich tatsächlich am wenigsten einschätzen kann. Es hängt auch damit zusammen, dass es eine suchende Zeit für mich war. Und dass ich mich im Grunde genommen am Prozess der Aufnahmen auch ein bisschen festgehalten und einfach weiter gemacht habe. Ich höre eine innere Zerrissenheit. Die dramatischen Balladen sind großartig geworden, aber mit den etwas leichteren Pop-Songs habe ich mich schwer getan. Es ist als Album über die ganze Strecke nicht ganz klar. Da sind Songs dabei wie „Schwör“ oder „Morgen ist egal“, solche hatte ich vorher so nicht hinbekommen. Jede Platte hat ihr Innenleben. Ich hoffe, dass das neue Album als ein starkes, kraftvolles wahrgenommen wird.

„Putzlicht“ klingt harmonisch und leicht. Wer Sie kennt, weiß, dass in Ihren Songs oft ein bisschen Melancholie mitschwingt.

FREVERT Die Zusammenarbeit mit Philipp Steinke war eine tolle Erfahrung. Ich habe unheimlich viel gelernt und glaube auch, dass sich dies für mich im Song-Writing nochmal widerspiegelt. Das war eine spannende Zeit, denn wir sind wirklich sehr ins Detail gegangen. Es hat viel Energie gekostet. Ich habe den kompletten Winter und das halbe Frühjahr in Berlin verbracht, in einer 1-Zimmer- Wohnung, mit Kohleofen nachts und morgens kaltem Wasser. Ich fand es super und es hat mich definitiv weitergebracht. Ich kann mit Luxus nicht viel anfangen, der hat bei meinem Platten-Aufnahmen nichts zu suchen.

Der Song „Putzlicht“ stellt eine Abwechslung zu all den Uptempo-Nummern auf der Platte dar. Was hat der Titel für einen Stellenwert?

FREVERT „Putzlicht“ ist „die“ Ballade auf dem Album. Ich dachte mir, wenn nach den ersten fünf Nummern nochmal eine solcher Song kommt, dann spricht das für ein gutes Album. Ich glaube, das ganze Album in sich ist sehr stimmig.

Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihre Gitarre anderthalb Jahre nicht angefasst haben?

FREVERT Ja. Ich habe es zwischendurch immer mal wieder versucht. Auch Dinge für mich festgehalten, aber ich habe das alles in die Tonne getreten. Es klang mir zu leidend.

Ist die Gründung einer eigenen Band für die Zukunft ausgeschlossen?

FREVERT Das weiß ich nicht, würde es nicht ausschließen. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Als Solokünstler kannst du selbst entscheiden, aber du bist auch für alles zuständig. Momentan ist es mit der Live-Band einfach großartig. Ich bin noch nie mit einem so guten Gefühl jeden Abend auf die Bühne gegangen. Es ist wirklich toll mit dieser Band. Es gibt mir Halt und macht mich glücklich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort