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Umstrittener Künstler Xavier Naidoo sprüht Gift

Meinung | Düsseldorf · Der Sänger der Band Söhne Mannheims hat ein Lied veröffentlicht, in dem er von einem Aufstand fantasiert und mit Lynchjustiz droht. Der Song ist der x-te Ausfall des Künstlers. Es ist höchste Zeit, ihm zu widersprechen.

 Xavier Naidoo bei einem Konzert in Mannheim.

Xavier Naidoo bei einem Konzert in Mannheim.

Foto: dpa, ua

Die Frage ist doch, warum so viele Leute immer noch stillhalten, warum sie nicht einfach sagen, was es auf sich hat mit Xavier Naidoo und was sie in Wahrheit über ihn denken. Warum meldet sich Til Schweiger nicht? Oder Heinz Rudolf Kunze? Oder Thomas D? Die drei gehören zu den Unterzeichnern jener Anzeige in der "FAZ", in der 120 Leute aus dem Kulturbetrieb ihre Solidarität mit Xavier Naidoo bekundeten. Naidoo war 2015 vom Eurovision Song Contest ausgeschlossen worden, weil er sich antisemitisch und homophob geäußert und Verschwörungstheorien verbreitet hatte. "Menschen für Xavier Naidoo" hieß die ganzseitige Verteidigungskampagne.

Das ist anderthalb Jahre her, und nun hat Xavier Naidoo es wieder getan. Genau genommen hat er es sogar abermals getan. Eigentlich war es schon lange an der Zeit, und jetzt kann man endgültig nicht mehr anders als zu sagen, dass dieser Künstler nichts Gutes beabsichtigt und auch nicht der feine Kerl sein kann, als der er von so vielen Vertrauten stets bezeichnet wird. Naidoo hat mit seiner Band, Söhne Mannheims, soeben den Song "Marionetten" veröffentlicht. Das Stück ist ein Samstagabend-Kracher für die Reichsbürger-Disco, und darin fantasiert er einen Aufstand herbei und droht mit Lynchjustiz.

Demokratisch gewählte Politiker nennt er "Hochverräter" und "Volks-in-die Fresse-Treter": " Wenn ich so einen in die Finger krieg' / Dann reiß ich ihn in Fetzen / Und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragraphen und Gesetzen". Er bezeichnet Parlamente als "Puppentheaterkästen" und bedient das alte antisemitische Klischee vom Puppenspieler, der im Hintergrund seine Fäden zieht. Ein Gegenwartsgemälde in den Farben rot und schwarz.

Man versucht ja als Menschenfreund mit einer an der Aufklärung orientieren Erziehung stets, das Gute im Menschen zu sehen. Also fragt man sich auch bei dem neuen Lied dieses Künstlers, ob man es nicht falsch versteht, gerade in diesen Tagen. Andererseits: Warum veröffentlicht ein Künstler gerade in diesen Tagen überhaupt ein Lied, das man falsch verstehen könnte?

Der Fall Naidoo ist dem Fall Höcke gar nicht unähnlich. Der AfD-Politiker Björn Höcke bezeichnete das Holocaust-Mahnmal in Berlin vor ein paar Wochen als "Denkmal der Schande". Was hat er gemeint? Ein "Denkmal zur Erinnerung an eine Schande" oder ein "schändliches Denkmal"? Es gab viel Empörung, aber Höcke ließ seinen Satz lange im Vagen und Unklaren, ganz bewusst, das ist die Perfidie. Er stand schulterzuckend vor dem Feuer und sagte, er habe keinen Brand gelegt. Lediglich mit den Streichhölzern gespielt habe er, das werde doch wohl erlaubt sein.

Leute wie Höcke und Naidoo vergiften die Sprache, und sie vergiften mit der Sprache den Diskurs, und über die Sprache gelangt ihr Gift in die Wohnungen und Beziehungen, in die Köpfe und Herzen. Dieses Gift weicht die Grenzen dessen auf, was zulässig ist. Am Ende stehen Missgunst, Null-Toleranz und Hass. Diese Leute wollen nicht, dass man diskutiert, weil Diskutieren einschließt, dass man andere Meinungen gelten lässt, sie überdenkt, sie sich also durch den Kopf gehen lässt und dabei abwägt. Sie wollen die Konfrontation als Selbstzweck.

Umso wichtiger ist, dass man sich bemerkbar macht, dass man seinen Unmut und seine Wut formuliert und kundtut: Stop, hier wird eine Grenze überschritten! Deshalb ist es gut, dass es jemanden wie Jan Böhmermann gibt, der in seiner TV-Sendung "Neo Magazin Royale" eine bittere Persiflage auf Naidoo und dessen Texte sendete und herausarbeitete, wie gefährlich Naidoo ist.

"Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid / Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid", singt Naidoo in "Marionetten". Verzeihung, aber wer solch ein Lied im Mai 2017 veröffentlicht, kann kein guter Mensch sein. Zwei Mitglieder seiner Band haben sich bisher dazu gemeldet: Rolf Stahlhofen und Henning Wehland. Man müsse sich mit dem "wahren Inhalt" des Liedes auseinandersetzen, sagte der eine. Der andere gab immerhin zu, dass der Lied-Text "überzeichnet" sei. Nur: Was ist denn nun der wahre Inhalt? Und: Wie viel davon ist Überzeichnung?

Naidoo ist 1999 das erste Mal auffällig geworden, da sagte er in einem Interview, bevor er "irgendwelchen Tieren oder Ausländern Gutes" tue, agiere er lieber für seine Heimat Mannheim. Man mag damals noch gedacht haben: Der Naidoo ist halt nicht der hellste Stein beim Juwelier. Aber es ging weiter: 2001 sagte Naidoo, wir seien nicht frei, Deutschland sei immer noch ein besetztes Land. 2014 trat er bei einer Reichsbürger-Demo vor dem Reichstag auf. In seinen Liedern griff er Homosexuelle an, drohte anderen, er werde ihnen Arme und Beine abschneiden. Außerdem spielte er auf die jüdische Bankiersfamilie Rothschild an, wieder ein antisemitisches Klischee: "Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel".

Xavier Naidoo hat das meiste von dem, was gerade zitiert wurde, vor 2015 veröffentlicht. Die Prominenten, die ihm per Zeitungsanzeige zur Seite sprangen, hätten all das wissen können. Spätestens nach Veröffentlichung von "Marionetten" herrscht Klarheit: Naidoo wird nicht missverstanden, er meint das echt so.

Wer ihm und seiner Argumentation nicht folgen mag, sollte ihm widersprechen.

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