Xavier Naidoo Nicht von dieser Welt

Mannheim · Das Theater um Xavier Naidoos ESC-Nominierung wirft etliche Fragen auf. Warum ist ein so umstrittener Künstler derart erfolgreich? Und weshalb solidarisieren sich so viele Prominente mit ihm wie an diesem Wochenende mit einer riesigen Anzeige in der "FAZ"? Ein Erklärungsversuch.

Prominente Unterstützung für Xavier Naidoo: Mehr als 100 Schauspieler, Musiker, Journalisten und Manager versicherten Naidoo am Samstag in einer Zeitungsanzeige ihre Solidarität. "Menschen für Xavier Naidoo" stand da in großen schwarzen Lettern auf roten Grund in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", darunter unter anderen die Namen von Mario Adorf, Til Schweiger, Anna Loos, Jan Josef Liefers und Jan Delay.

Wie ist das zu erklären? Xavier Naidoo bezeichnet Mannheim als das neue Jerusalem, spricht vor Rechtspopulisten, hält Deutschland nicht für einen souveränen Staat und Amerika für die Inkarnation des Bösen. Unter anderem. Trotzdem ist er künstlerisch erfolgreich, mit einer Show im Fernsehen präsent und vom NDR vorübergehend für den Eurovision Song Contest nominiert worden. Wie passt das zusammen? Erfolg schert sich nicht zwangsläufig um Gesinnung, das ist das eine. Und das andere: Wahrscheinlich hat Xavier Naidoo etwas an sich, das andere nicht haben. Wie Charisma. Oder ein außerordentlich gutes soziales Netzwerk.

Anders lässt es sich zumindest nur schwer erklären, dass sich nach der Empörungswelle über Naidoos ESC-Nominierung etliche hochkarätige deutsche Künstler bemüßigt sehen, den Sänger zu verteidigen. Michael Mittermeier, Til Schweiger, Herbert Grönemeyer, die Liste ist lang, der Tenor immer der gleiche: Naidoo sei weder homophob noch fremdenfeindlich, sondern neugierig, lustig, gutmütig, leidenschaftlich, ein christlicher Freigeist und toller Künstler. Kabarettist Mittermeier fühlt sich gleich persönlich mit angegriffen, Schweiger versteigt sich zu dem Vergleich, dass die Attacken auf Naidoo Terrorismus seien.

Was hier tatsächlich passiert, ist der Schulterschluss der ewig Missverstandenen, der Kritisierten und Gescholtenen - eine Art Promi-"Solidarnosc" gegen die Anmaßung öffentlich geäußerter Kritik. Ein gleichbleibend hoher Erregungspegel hat die Häute papierdünn gescheuert, heißt: Die Nerven liegen blank. Das führt zu Fehleinschätzungen. "Solange niemand verhetzt, verunglimpft, verletzt oder ausgegrenzt werde", schreibt Grönemeyer, "ist das Kultur." Ist das so?

Kommt auf die Perspektive an. Schwule und Lesben fühlten sich von Naidoos Lied "Wo sind sie jetzt", in dem übelste Gewaltfantasien ausgebreitet werden, so verletzt, dass sie Strafanzeige stellten. Der Sänger musste später klarstellen, dass er nur auf schreckliche Verbrechen hinweisen wollte und keine Absicht hatte, Homosexualität und Pädophilie gleichzusetzen. Auch durch den Song "Raus aus dem Reichstag", in dem Mitglieder der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild als "Füchse" bezeichnet werden, mögen sich jüdische Mitbürger ausgegrenzt gefühlt haben. Und Naidoos Auftritt bei der rechtspopulistischen Reichsbürgerbewegung, bei der er wieder wie ein Mantra seine Verschwörungstheorie von der Unfreiheit Deutschlands ausbreitete, mag vielleicht nicht direkt verhetzend sein - bis dahin ist es aber nur ein kleiner Schritt. So fällt es wohl eher unter Unkultur.

Naidoos Kunst ist Geschmackssache und deshalb: geschenkt. Interessant ist immerhin, dass sich die erfolgreiche Schmusemusik des 44-Jährigen, ein Mix aus Rap, Soul und Pop, komplett aus US-amerikanischen Einflüssen speist, dem Land, dem er aufs Innigste feindschaftlich verbunden ist. In seinen Texten vermengt er dazu meist so geschickt christliche Symbolik mit esoterischem Geschwafel, dass sich jeder in irgendwelchen Wortfetzen wiedererkennt. Naidoo, ganz überzeugter Christ, hört seinen Vornamen gerne ausgesprochen wie Saviour, Erlöser, und sieht sich wohl auch so - als einer, dessen musikalisch dargebotene Wahrheiten die Menschen erlösen. Wovon auch immer.

Was bleibt, ist der Eindruck eines Menschen voller Widersprüche. Der bei der Fußball-WM singt und vor Soldaten in Afghanistan. Der krude Sätze sagt wie "Ich bin ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe". Der Millionen Menschen mit seinen Songs begeistert und für seine Shows vor die Fernseher lockt. Der den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler anzeigt, weil er dabei mitgewirkt haben soll, dass Deutschland ohne verfassungsrechtliche Legitimation die Währungsunion einging. Andererseits: Menschen mögen Stars mit Macken, weil diese sie normaler erscheinen lassen.

Tom Cruise ist Hollywoods Superheld, wirbt aber für Scientology; Michael Jackson war ein Megastar, aber komplett verkorkst; Frank Sinatra der weltbeste Entertainer, aber ein Freund der Mafia. Ben Becker, der große Bibel-Rezitator, sympathisiert mit den Hells Angels. Naidoo ist also nur einer in einer langen Reihe von Künstlern, bei denen Leben, Werk und Wirkung nicht miteinander harmonieren. Was zur Frage führt, ob ein Werk sich nicht ohnehin von seinem Schöpfer emanzipieren kann, also für sich steht, oder ob die Verfehlungen oder Verirrungen des Künstlers auf es abfärben. Wobei etwa ein Buch es dabei leichter hat als ein Lied, das durch den Vortrag enger an den Interpreten gebunden ist.

War die Entscheidung des NDR, Naidoo für den ESC zu nominieren, also richtig? Nein. Nicht wegen Naidoos widersprüchlicher Vita, sondern konkret wegen seiner Haltung zu Deutschland. Jemand, der bei einem europäischen Wettbewerb für sein Land antritt, sollte sich auch mit dessen Verfassung identifizieren. Kunst hin oder her, alles andere ist Kokolores.

Am Ende der Woche ist das Bild Xavier Naidoos nicht klarer geworden, sondern bleibt weiter nebulös. Messen kann man den Sänger freilich nur an Worten und Wirken, die Wahrheit bleibt eher verborgen. Interessant übrigens, dass diejenigen, die die Wahrheit über Naidoo zu kennen glauben, seine Promi-Entourage, mit Trotz auf die geballte Kritik reagierten, während der NDR sofort die Rolle rückwärts machte. Der Sender beugt sich dem öffentlichen Druck, die Star-Gilde fühlt sich dadurch herausgefordert.

Auch Naidoo müsste sich eigentlich jetzt gefordert fühlen, Widersprüche, Irrtümer, Fehlinterpretationen auszuräumen. Die Plattformen dazu hat er. Aber ob so viel Offenheit in sein Weltbild passt, ist fraglich.

(RP)
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