In der Berghütte lauern die Spukgeschichten

Wie ein Edgar-Allan-Poe-Roman: Haruki Murakamis neues Werk "Die Ermordung des Commendatore".

Einen verwegenen Balanceakt zwischen Künstlerroman, Schauergeschichte, magischem Realismus und Selbstfindungsepos präsentiert uns der neue Roman von Haruki Murakami. In den vergangenen Jahren wurde der 69-jährige japanische Schriftsteller regelmäßig als heißer Kandidat auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Im deutschen Sprachraum erfreut er sich schon seit dem Sommer 2000 großer Popularität. Damals war es im "Literarischen Quartett" des ZDF über Murakamis Roman "Gefährliche Geliebte" zum öffentlichen Zerwürfnis zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler gekommen. Reich-Ranicki hatte einen "hocherotischen Roman" gelesen, und seine Wiener Kollegin sprach von "trivialer Pornographie". Fortan waren die in deutscher Übersetzung erschienenen (und neuaufgelegten) Werke von Murakami Verkaufsschlager.

Im Mittelpunkt des neuen Werks: ein namenloser Ich-Erzähler, der nach sechsjähriger Ehe unvermittelt von seiner Frau verlassen wird. Der leidlich erfolgreiche Portraitmaler zieht sich zurück in die Berge - in ein Haus, das ihm ein Freund (Sohn des bekannten Malers Tomohiko Amado) überlassen hat. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit Kunstunterricht in einer nahe gelegenen Kleinstadt und will in aller Abgeschiedenheit über sich und seine Kunst reflektieren.

Doch mit der selbstgewählten Einsamkeit ist es bald vorbei. Ein betagter Herr in schneeweißem Anzug und leuchtend hellen Haaren taucht bei ihm auf und möchte (gegen ein üppiges Honorar) unbedingt von ihm portraitiert werden. Nun wird es turbulent in der abgelegenen Berghütte: Auf dem Dachboden begegnet der Maler einer Eule, die auf einem verstaubten Gemälde thront, an dem der inzwischen demente Maler Tomohiko Amado während seiner Studienzeit in Österreich mitgearbeitet hat. Das Bild trägt den Titel "Die Ermordung des Commendatore" und zeigt das Duell zweier Männer: Der Jüngere rammt seinem Kontrahenten ein Schwert ins Herz. Mit der Entdeckung des Gemäldes ändert sich das Leben der Hauptfigur - fortan ist er wieder inspiriert, er entdeckt für sich die Farben neu, vor allem das leuchtende Weiß, das er für das Portrait des Herrn Menshiki benötigt.

Haruki Murakami erzählt in einem lockeren Plauderton, zieht aber seine Leser durch geheimnisvolle Schlenker in den Bann. Und es gibt diverse Rätsel im Alltag des Malers. Plötzlich wird sogar der Commendatore aus dem Gemälde lebendig und erklärt: "Ich bin nur eine Idee."

Was da so relativ klar konturiert als Aussteigergeschichte begann und sich als Treffen zweier einsamer Menschen fortsetzte, bewegt sich mehr und mehr in die Sphäre eines anspielungsreichen, schaurigen Nebels. Spuren führen gar ins Wien des Jahres 1938, wo der betagte und inzwischen demente Maler Amado gewirkt hat. Das Gemälde soll demnach ein misslungenes Attentat auf einen NS-Funktionär darstellen.

"Hin und wieder kann man in unserem Leben die Grenze zwischen Realität und Illusion nicht richtig ziehen", erklärte der weißhaarige Menshiki im Roman. Haruki Murakamis Roman mit dem Untertitel "Eine Idee erscheint" liest sich so herrlich schräg und doch gleichzeitig so inspirierend, dass man glaubt, der wiederauferstandene Edgar Allan Poe hätte Thomas Manns "Doktor Faustus" fortgeschrieben. Und die Fortsetzung befindet sich auch schon in der verlegerischen Pipeline. Schon am 16. April soll der zweite Teil der Geschichte erscheinen.

(RP)
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