Debatte um „Stelter-Gate“ Warum der Karneval (fast) alles darf

Köln · Die Störung eines Auftritts des Kabarettisten Bernd Stelter, der einen müden Gag über Frauen mit Doppelnamen gerissen hatte, lenkt den Blick auf die Macht des teuflischen Narren. Die Frage lautet: Was darf der Karneval?

Im Disput auf der Bühne vereint: Gabriele Möller-Hasenbeck mit dem Kabarettisten Bernd Stelter im Kölner Grüzenich.

Im Disput auf der Bühne vereint: Gabriele Möller-Hasenbeck mit dem Kabarettisten Bernd Stelter im Kölner Grüzenich.

Foto: RPO/Twitter / WDR

Was für eine Aufregung! Da wagt ein Humorist ein müdes Späßchen über Doppelnamen von Frauen, und sogleich wird die Bühne „gestürmt“ von einer in diesem Sinne betroffenen Zuhörerin. Bernd Stelter ist das jetzt bei einer Fernsehsitzung passiert, ausgerechnet Stelter, der bislang nicht sonderlich als politisch unkorrekter Krawallbruder aufgefallen ist.

Leute, Leute.

Zu erklären (und zu entschuldigen) ist die skurrile Aufregung eigentlich nur damit, dass, mehr oder weniger, ein Missverständnis vorliegt. Genau genommen darüber, was Karneval ist, was Karneval darf und können muss.

Ja, ja, und jetzt wird wieder der alte Tucholsky hervorgekramt und eifrig nachgelesen, was er vor exakt 100 Jahren im „Berliner Tageblatt“ über die Satire geschrieben hat. Seine Ausgangsfrage dabei war: Was darf Satire? Seine Antwort darauf lautet (kurz gefasst): Alles! So weit, so einfach – und so bedingt zutreffend. Weil Karneval nicht allzu viel mit dieser Art von Satire zu tun hat. Satire trifft den Adressaten überraschend, hinterrücks. Sie riskiert, missverstanden zu werden. Sie ist eine Provokation an sich. Beim Karneval ist so etwas aber Programm. Die ganze närrische Zeit ist bestimmt von Übertretungen, Diffamierungen, Beleidigungen und in diesem Sinne auch Diskriminierungen. Was ansonsten die Gesellschaft ahndet, wird im Karneval toleriert. Die Frage ist also nicht: Was darf Satire? Sondern: Was darf der Karneval? Auch alles? Oder wenigstens fast alles?

Karneval ist erst einmal das: ungerecht, gemein und fies. Die klassische Narrenkappe hat links und rechts jeweils einen komischen Bömmel. Wie zwei verkappte Hörner, teuflische Hörner, wie manche auch sagen. Der klassische Narr und seine Späße sind demnach eher zu fürchten. An den fürstlichen Höfen des Mittelalters hielten sich die Herrscher gerne einen Narren. Der durfte alles sagen, selbst gegen den König. Der lachte dann darüber und mit ihm die Hofgesellschaft. Der Narr hatte absolute Narrenfreiheit. Er durfte dem Herrscher auch mal den Spiegel vorhalten, aber da es ein närrischer war, blieb das Treiben akzeptabel. Doch eigentlich war es mehr als das: Der Narr zeigte mit all seinem Un- und Irrsinn, wie gut es ist, einen Fürsten, eine gescheiten also, am Hof zu haben.

Bei der Regentschaft der Narren geht es drunter und drüber, bis heute. Der Sturm der Rathäuser zu Altweiber ist ein irres Zwischenspiel, das alle genießen und keiner sich auf Dauer wünscht. Die Eroberungen der Machtzentren sind so gesehen staatstragend. Auch darum wurde der Narr vor allem früher so sehr geduldet und im wahrsten Wortsinn hofiert. Der Narr war und ist ein Anti-Revolutionär; er fordert keinen Umsturz, keinen dauerhaften Machtwechsel.

Alle Übertretungen scheinen in absolutistischen Gesellschaften einfacher gewesen zu sein, als sie es heute in demokratisch organisierten und geführten Staaten sind. Die Frage lautet jetzt vielmehr: Was hält die Gesellschaft aus? Und was ist sie bereit, zu ertragen? Staatsleute lächerlich zu machen und bloßzustellen, ist weitgehend unproblematisch. Das gleiche gilt bei kirchlichen Würdenträgern. In demokratischen Gesellschaften, in der fast jeder fast alles sagen kann, büßt das Spötteln über die Führungsschicht Brisanz und Gift ein. Witze zur Me-too-Debatte sind grenzwertig, rassistische Darstellungen ebenso. Überschritten ist die Grenze hingegen bei allen närrisch getarnten Angriffen, die antisemitisch gedeutet werden können. Es waren die Nazis, die Juden auch auf Motivwagen diffamierten und wenig später in die Vernichtungslager deportierten.

Der Narr ist teuflischen Ursprungs. Und man darf sich vor ihm ruhig fürchten. Nur aus der Welt zu schaffen ist sein Treiben nicht mehr. Wie weit Verletzungen aber gehen dürfen, ist dem Einzelfall geschuldet und mitunter auch der Zeit. Darum ist es für die Duldung ätzender Angriffe so sinnvoll, einen eigens gekennzeichneten Raum dafür zu schaffen. Dieser Raum heißt Karneval. Es bleibt zwar ein gefährlicher, durchaus kontaminierter Raum, weil nie ganz klar sein dürfte, ob das, was da gezeigt, herausgeschrien und gesungen wird, nicht doch vielleicht eine Meinungslage wiedergibt. Entschärft wird die heikle Situation erst durch ihre klare, zeitliche Begrenzung. Wie heißt es doch? Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Ab Aschermittwoch soll also wieder die vermeintliche Vernunft regieren. Die Rückkehr der Politik wird dann machtvoll und gleichfalls lautstark dokumentiert: In den politischen Aschermittwoch-Reden unserer prominenten Landesvertreter wird verlorengegangenes Macht-Terrain zurückerobert. Die verbale Krafthuberei im Bierzelt-Ambiente lässt noch Erinnerungen an die tollen Tage wach werden. Die Übergänge sind also fließend.

Gabriele Möller-Hasenbeck, die wegen des Doppelnamen-Witzes die Bühne von Bernd Stelter im Gürzenich „eroberte“, wurde des Raumes verwiesen. Ihr Mann auch. „Im Karneval ist alles erlaubt. Aber es ist ne‘ Einbahnstraße“, sagte Gabriele Möller-Hasenbeck später. Womit sie zweifelsohne recht und das Abgründige des Karnevals in ganzer Tiefe ermessen hat.

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