Ein Land feiert seine Fußball-Helden Russland im Freudentaumel

St. Petersburg · Nach dem zweiten überzeugenden WM-Sieg schwärmt ganz Russland von der Sbornaja. Bei den Protagonisten herrscht Genugtuung und Vorsicht zugleich.

Die russische Nationalmannschaft versetzt das Land in Euphorie.

Die russische Nationalmannschaft versetzt das Land in Euphorie.

Foto: AFP/HECTOR RETAMAL

Wildfremde Menschen tanzten Arm in Arm über den Roten Platz, am Ort des Triumphes überdauerte die rauschende Party sogar die ersten Sonnenstrahlen. Lebensfreude und Glücksgefühle erfassten die WM-Gastgeber, als sie die russischen Fußball-Helden für ihr Sommermärchen feierten. Weil die Sbornaja, eine Ansammlung vermeintlicher Versager, offenbar doch zu etwas taugt.

"Wir reißen die Rivalen in Stücke", titelte die Zeitung „Sport-Express“ martialisch, während die „Sowjetski Sport“ voller Pathos schrieb: "Ganz egal, was jetzt noch kommt, wir werden uns immer mit glückseligen Gefühlen an diese Tage erinnern". Tage, an denen der Gastgeber traumhafte Tore erzielte. Tage, an denen Erfolge ausschweifend bejubelt wurden. Tage, an denen Russland wohl erstmals seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder ein WM-Achtelfinale erreicht.

Das überzeugende 3:1 (0:0) im zweiten Gruppenspiel gegen die Ägypter erfüllte das Riesenreich nicht nur mit Freude und Stolz, es beseitigte auch letzte Zweifel an der Verfassung der Gastgeber. "Gratulation an das gesamte Land und herzliche Grüße an alle, die nicht an uns geglaubt haben", sagte Abwehrspieler Ilja Kutepow mit einer Genugtuung, die sogar höchste politische Kreise erreichte.

"Wir haben so lange auf solche Momente gewartet", sagte der russische Sportminister Pawel Kolobkow. Und der frühere Verbandschef Witali Mutko, enger Vertrauter von Staatschef Wladimir Putin und mittlerweile Vize-Premierminister, schwärmte: "Das ist ein Team voller Patrioten, die ihr Land lieben. Darauf kommt es an, das sind unsere besten Jungs."

Fähigkeit und Selbstvertrauen wachsen

WM 2018: Russische Fans feiern nach Ägypten-Sieg auf den Straßen Moskaus
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Foto: REUTERS/MAXIM SHEMETOV

Diese Jungs, die vor dem erfolgreichen Auftakt gegen Saudi-Arabien siebenmal in Serie nicht gewonnen hatten, flößen plötzlich Respekt ein. In England. In Deutschland. Sogar in Spanien. Ein "kaiserliches Russland" sah die Tageszeitung „AS“, laut „Independent“ "fegte Russland über Ägypten hinweg". Von Spiel zu Spiel, so macht es den Anschein, wachsen Fähigkeit und Selbstvertrauen.

Und das bemerken nicht nur die Fans, auch andere Sportler verfolgen die rasante Entwicklung mit großer Begeisterung. Biathlon-Olympiasieger Anton Schipulin beispielsweise, oder der ehemalige Tennis-Star Jewgeni Kafelnikow. "Über diesen Sieg", mutmaßte Kafelnikow, "werden wir noch Jahre sprechen".

Tatsächlich überraschte es, mit welcher Leichtigkeit der Gastgeber die Ägypter und ihren Starstürmer Mohamed Salah im Griff hatten. Das Team wuchs einmal mehr über sich hinaus - sinnbildlich dafür stand Denis Tscheryschew, der bereits seinen dritten Turniertreffer erzielte.

"Wir wissen alle nicht so recht, warum es plötzlich so gut läuft. Wir können es uns nicht erklären", sagte der 27-Jährige. Er wisse nur, "dass wir das Land weiter frohlocken lassen wollen". Komme, wer wolle.

Im abschließenden Gruppenspiel am Montag gegen Uruguay (16.00 Uhr MESZ/ZDF) geht es wohl nur darum, die Zuversicht weiter zu stärken und die Euphorie zu konservieren. Denn der erste Gegner in der K.o.-Runde dürfte entweder Spanien oder Portugal sein. Aber Furcht? Das haben diese Russen nicht mehr.

"Ich hoffe, dass noch viele schöne Tage kommen werden", sagte Russlands oft gescholtener, mittlerweile aber gefeierter Nationalcoach Stanislaw Tschertschessow. Wie bei fast jedem Spieler entschuldigte sich die Zeitung Sport-Express auch beim 54-Jährigen ausführlich für die vor Turnierbeginn hervorgebrachte Skepsis - und dankte: "Ihr gebt den Russen den Glauben an den Fußball zurück!"

(old/sid)
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