Frankreich droht Syrien mit Angriff

Präsident François Hollande schließt ein militärisches Eingreifen nicht mehr aus, um das Morden in dem arabischen Land zu stoppen. Oppositionsgruppen berichten über ein neues Massaker: 13 gefesselte Männer seien in der Provinz Deir as Saur erschossen aufgefunden worden.

Paris/Damaskus (RP) Beeinflusst ein kriegerischer Philosoph die französische Außenpolitik und den Ausgang des Syrien-Konflikts? Diese Frage stellten sich gestern Beobachter in Paris, als Frankreichs Präsident François Hollande überraschend ein militärisches Eingreifen gegen das Regime von Staatschef Baschar al Assad in den Bereich des Möglichen rückte. Denn wenige Stunden zuvor hatte der Intellektuelle Bernard-Henri Lévy (63) einen Brandbrief an den Staatschef veröffentlicht: Frankreich möge endlich in Syrien Frieden schaffen.

Der Philosoph will nach eigenen Angaben bereits Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy zum militärischen Eingreifen in Libyen bewegt haben. Lévy knüpfte damals jedenfalls Kontakte zu den Rebellen und brachte sie mit Sarkozy in Verbindung. Seine jüngsten Forderungen an Hollande sind deftig. Er wirft ihm in seinem offenen Brief vor, sich mehr für Benzinpreise und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu interessieren als für die Rettung des syrischen Volkes. Notfalls müsse Frankreich nur mit Rückendeckung der Arabischen Liga und der EU einen Einsatz in Erwägung ziehen.

"Eine Militärintervention ist nicht ausgeschlossen", sagte Hollande im Interview des Fernsehsenders France 2. Voraussetzung sei allerdings die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht und ein Mandat des UN-Sicherheitsrats. Widerspruch erfolgte sofort: Der Sprecher von Präsident Barack Obama, Jay Carney, sagte, die USA lehnten eine Militärintervention zum jetzigen Zeitpunkt ab. "Wir glauben, es würde zu größerem Chaos, zu größerem Gemetzel führen", sagte Carney. Die USA hofften, dass der diplomatische Druck auf das Assad-Regime Wirkung zeige. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) lehnte den Einsatz internationaler Kampftruppen ab. "Für Spekulationen über militärische Optionen besteht aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass", sagte er. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt ebenfalls weiter auf eine politische Lösung. Zugleich will sie den morgigen Berlin-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin nutzen, um für eine weitere Verschärfung der diplomatischen Maßnahmen gegen Syrien zu werben. "Jeder Versuch, auf Moskau Druck auszuüben, ist kaum angemessen", reagierte Putins Sprecher Dmitri Peskow umgehend. Es empfehle sich, davon auszugehen, dass Russland von seiner Linie nicht abrücke.

Hollandes Empörung über das Assad-Regime erhielt indes gestern neue Nahrung: Erneut berichteten Aktivisten von einem Massaker. Sie veröffentlichten ein Video aus der Provinz Deir as Saur, das die Leichen von 13 Männern zeigt – mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen. Der Leiter der UN-Beobachtermission in Syrien, der norwegische General Robert Mood, bestätigte die Angaben. Laut UN-Beobachtern wurden die 13 Männer aus nächster Nähe mit Kopfschüssen getötet. "General Mood ist sehr beunruhigt über diese abscheuliche, unentschuldbare Tat", teilte ein Sprecher mit.

In Berichten aus Oppositionskreisen hieß es, bei den Toten handele es sich um Deserteure in Zivil, die von Regierungstruppen erschossen worden seien. In anderen Berichten wurde angegeben, die Opfer seien Arbeiter der Ölgesellschaft Al Furat. Sie seien ermordet worden, weil sie sich einem Proteststreik gegen das Massaker in Hula am Freitag vergangener Woche angeschlossen hätten.

Nach Angaben von Aktivisten wurden allein am Dienstag 72 Menschen von den Regimetruppen getötet. Gestern zählten sie 18 Todesopfer, darunter ein Kind, das an den Folgen einer Verletzung starb, die es Tage zuvor bei einem Angriff der Armee erlitten hatte. Aus der Ortschaft Duma im Umland von Damaskus meldete die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Regimegegnern.

Der UN-Menschenrechtsrat berief eine weitere Sondersitzung zur andauernden Gewalt in Syrien ein. Sie findet auf Antrag der Türkei und Katars sowie der USA und der Europäischen Union morgen in Genf statt. Es werde mit einer erneuten scharfen Verurteilung des Regimes in Damaskus gerechnet, hieß es in diplomatischen Kreisen.

Dem UN-Gremium liegen nach eigenen Angaben Erkenntnisse vor, wonach die meisten der mehr als 100 Opfer des Massakers von Hula aus nächster Nähe erschossen worden seien – darunter zahlreiche Kinder. Nach Aussagen von Überlebenden wurden ganze Familien in ihren Häusern ermordet. Einwohner machten für das Massaker die regimetreue Schabiha-Miliz verantwortlich.

(RP)
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