Debatte um Waffen-SS-Geständnis Zentralrat der Juden:<br>Grass' Bekenntnis ist PR-Maßnahme

Hamburg (rpo). Der Zentralrat der Juden vermutet hinter dem Bekenntnis von Schriftsteller Günter Grass, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, eine PR-Maßnahme. Das Geständnis kurz vor der Veröffentlichung seines neuen Buches lege diesen Verdacht nahe, sagte die Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch. Auch Literaturkritiker Hellmut Karasek sprach von einem "kurzsichtigen PR-Manöver".

Grass sei stets als "strenger moralischer Mahner aufgetreten", sagte Knobloch der "Netzeitung". "Sein langjähriges Schweigen über die eigene SS-Vergangenheit führt nun seine früheren Reden ad absurdum."

Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), sagte der "Bild"-Zeitung, zwar bleibe Grass' literarisches Werk bestehen. "Aber als moralische Instanz, als die er sich selbst immer sah, hat er Schaden genommen." Literaturkritiker Hellmuth Karasek erneuerte seine Vorwürfe. Grass habe sich den Literatur-Nobelpreis "erschlichen". Wäre die SS-Mitgliedschaft früher bekannt gewesen, hätte Grass den Preis nicht bekommen. Das späte Eingeständnis sehe wie "ein kurzsichtiges PR-Manöver" aus.

Ein Abgeordneter der in Polen regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kündigte gegenüber der "Bild"-Zeitung eine Initiative zur Aberkennung von Grass' Danziger Ehrenbürgerschaft an. "Ein Mitglied der Waffen-SS darf niemals Ehrenbürger einer polnischen Stadt sein", sagte Jacek Kurski dem Blatt. "Besonders nicht von Danzig, der Stadt, in der der Zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm". Zuvor hatte bereits der polnische Ex-Präsident Lech Walesa die Aberkennung von Grass' Danziger Ehrenbürgerschaft verlangt.

Warnung vor vorschnellen Urteilen

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte dagegen vor zu harschen Urteilen. "Einige äußern sich so vehement, als hätten sie nur darauf gewartet, Günter Grass als öffentliche Person zu vernichten", sagte Thierse der Tageszeitung "Die Welt" (Dienstagausgabe). Grass' Äußerungen zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS bezeichnete Thierse als "erstaunlich". Es stelle sich die Frage, warum Grass dies "nicht früher mitgeteilt hat und warum er es erst jetzt mitteilt". Thierse rief die SPD dazu auf, zu Grass zu stehen. Durch seine Worte zur Mitgliedschaft in der Waffen-SS habe sich "Leben und Werk von Günter Grass nicht verändert", sagte Thierse dem Blatt weiter.

Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) warnte dagegen vor "Hochmut" in der Debatte um Grass. Es wäre zwar gut gewesen, wenn Grass sich früher offenbart hätte. Grass habe gleichwohl viel zum Gelingen der Demokratie in Deutschland beigetragen und tue dies weiter. Es gebe keinen Grund, "über ihn herzufallen", sagte Müntefering. Auch SPD-Chef Kurt Beck hatte sich bereits hinter Grass gestellt. Der Literat hatte in Wahlkämpfen immer wieder für die SPD geworben.

Der Dramatiker Rolf Hochhuth sagte, dass er Grass "ekelhaft" finde. Grass sei moralisch diskreditiert. Er habe sich über den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ereifert, weil dieser mit US-Präsident Ronald Reagan einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem neben Hunderten US- und deutscher Soldaten auch 49 Mitglieder der Waffen-SS begraben waren.

Der Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, Johano Strasser, nannte die Kritik an Grass "fürchterlich überzogen". Es sei nicht wahr, "dass Grass durchweg immer derjenige war, der nur mit dem großen Zeigefinger durch die Welt gegangen ist". Der Schriftsteller Walter Jens sagte, es sei eine eindrucksvolle und bewegende Tat, dass ein alter Mann reinen Tisch machen wolle. Er glaube nicht, dass mit dem späten Bekenntnis Grass und sein Werk beschädigt würden. Nach den Worten des Autors Martin Walser hat Grass durch die souveräne Platzierung seiner Mitteilung dem "aufpasserischen Moral-Klima" eine Lektion erteilt.

Der CDU-Kulturexperte Wolfgang Börnsen und der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, verlangten von Grass die Rückgabe des Nobelpreises. Polens Ex-Präsident Lech Walesa forderte Grass zum Verzicht auf die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Danzig auf. "Wenn bekannt gewesen wäre, dass er in der SS war, hätte er die Auszeichnung nicht bekommen", sagte Walesa.

Grass hatte erst in der vergangenen Woche offenbart, dass er im Zweiten Weltkrieg als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Sein Erinnerungsbuch, in dem er seine Kindheit in Danzig, Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft sowie seine Anfänge als Künstler im Nachkriegsdeutschland schildert, erscheint im September unter dem Titel "Beim Häuten der Zwiebel".

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