Christian Lindner beginnt Neustart mit der FDP "Schluss mit Schickimicki"

Gedemütigt, geprügelt und aus dem Bundestag vertrieben. Mit dem neuen Chef Christian Lindner bläst die FDP bald drei Monate nach ihrer schwärzesten Stunde zum Neustart. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

Mit diesem Vorstand will die FDP zurück in den Bundestag
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Foto: dpa, Kay Nietfeld

Am Gleisdreieck in Berlin-Kreuzberg haben die Liberalen passend zum Sonderparteitag am Wochenende ein blau-gelbes Banner an die Backsteine gedübelt: "Liberal sein heißt auch mutig sein", steht darauf. Ein Zitat von Thomas Dehler.

Die tapferen Mitglieder, von denen Hunderte ihre Bundestagsjobs verloren haben, bemühen sich, diesen Mut vorzuleben. Erhobenen Hauptes kommen sie durch den Schneeregen zum Parteitag, gehen durch ein sakrales Backstein-Gewölbe in eine ehemalige Lokhalle. Früher buchte die Partei andere Locations: "Schluss mit Schickimicki", meint dazu der ehemalige Bundestagsabgeordnete Michael Kauch. Die auf Posten fixierte Partei habe eine Erdung gebraucht.

Dafür sorgten die Wähler mit 4,8 Prozent, die von der FDP nichts mehr wissen wollten. Es wird lange dauern, das ramponierte Image zu korrigieren. Als sozial kalte Lobbytruppe werden die Liberalen gesehen. Dabei haben sie ein modernes Programm. Bürgerrechte, Datenschutz, bunte Ehen und Familien. Nur hat es im Wahlkampf niemand glaubwürdig erzählen können.

FDP-Chef Porträt: Das ist Christian Lindner
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Christian Lindner – der Überflieger

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Foto: dpa/Focke Strangmann

Linder, der letzte Hoffnungsträger

Seit diesem Wochenende hat die FDP wieder so einen. Der erst 34 Jahre alte Christian Lindner hatte zwei umjubelte Auftritte. Am Samstag: 15 Minuten für eine Bewerbungsrede, die den verunsicherten Laden rockte und Lindner 79 Prozent Zustimmung brachte. Nebenbei setzte er seine Wunschkandidaten für die Vize-Posten locker durch, wurde der Euro-Rebell Frank Schäffler von der Basis klar in die Schranken verwiesen.

Am Sonntag folgten 70 Minuten für eine Regierungserklärung in eigener Sache. Nie wieder soll die FDP wie seit Kohl-Zeiten nur noch Funktionspartei sein, die um Leihstimmen der Union bettelt. Lindner will raus aus den Schützengräben der Lagerwahlkämpfe. Für die Liberalen eine logische Konsequenz, weil die Union ihr nichts mehr gönnte und die SPD für 2017 längst Rot-Rot-Grün blinkt.

Parallelen zu Rösler

Die FDP schaue nur noch auf sich, nicht mehr auf mögliche Koalitionspartner: "Die Partei ist so eigenständig und unabhängig wie niemals zuvor in ihrer Geschichte", sagte Lindner. Das hatte allerdings auch Philipp Rösler geschworen, in seiner Antrittsrede 2011 in Rostock. Im Endspurt der zurückliegenden Wahl reduzierten sich die Liberalen dann doch wieder auf den Spruch: "Wer Merkel will, wählt auch FDP."

Nun heißt es. die FDP wolle sich von der engen Bindung an die Union lösen und als eigenständige Kraft profilieren. "Ab heute bauen wir vom Fundament aus neu auf". ruft Lindner der Partei zu. Er versucht, den Kompass neu zu justieren, nach dem sich die FDP ausrichten soll.

Die Partei sei nicht Kumpel der Bosse. Die "Anarchie der Raffer" in den Banken müsse beendet werden. In der sozialen Marktwirtschaft dürfe niemand "too big to fail" sein - zu groß zum Scheitern. Mit diesem Argument waren die Geldhäuser in der Krise mit Unsummen gerettet worden.

Lindern beschwört den Glauben an die Kraft des Einzelnen

Wenn künftig jemand einen Liberalen frage, was er dem einzelnen Bürger zutraue, solle die Basis sagen: Alles ist möglich, wie einst in Amerikas Raumfahrt. US-Präsident John F. Kennedy habe einmal den Stützpunkt Cape Canaveral besucht, wo die Mondmission startete, und dort einen Mann getroffen, der eine leere Halle fegte. "Was machen Sie hier?", habe Kennedy gefragt. Der Arbeiter habe salutiert: "Einen Mann auf den Mond bringen!"

Hebt die FDP schon wieder ab, lässt sie sich von Lindner zum unrealistischen Griff nach den Sternen verleiten? Wohl kaum. Lindner dürfte auf dem weiten Weg zurück in den Bundestag mit einem ordentlichen Ergebnis bei der Europawahl vorerst zufrieden sein.

Sein Geschick als neuer Parteichef wird vermutlich über das Überleben der FDP entscheiden. Einen anderen Hoffnungsträger haben die Liberalen nicht mehr. Dennoch verpasste der Parteitag dem neuen Vorsitzenden gleich einen Dämpfer. Nur etwa 79 Prozent der Stimmen bekam Lindner bei der Wahl zum Parteichef.

Die Gräben sind vorgezeichnet

In dem Ergebnis spiegelten sich widerstrebende Vorstellungen über den künftigen Kurs der Partei wider, die Lindner bald zu schaffen machen dürften. Er will die Partei sozialer machen und nach allen Seiten öffnen, manche Landesverbände - etwa im Osten - wollen die FDP jedoch eher nach rechts orientieren, auf größere Distanz zu Europa gehen und einen harten marktwirtschaftlichen Kurs fahren.

Lindner warnte seine Partei am Sonntag eindringlich vor der Versuchung, mit europakritischen Parolen der Anti-Euro-Partei AfD nachzueifern. Eine starke Minderheit der Delegierten sah das anders: Der Euro-Rebell Frank Schäffler erhielt bei seiner Bewerbung um den Vizevorsitz immerhin knapp 25 Prozent.

Bei der Wahl der Stellvertreter setzten sich Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein, Uwe Barth aus Thüringen und Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus Nordrhein-Westfalen durch. Neue Generalsekretärin ist Nicola Beer aus Hessen. Frühere Bundesminister sind in der neuen FDP-Führung nicht mehr zu finden.

(dpa)
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