Kommentar Große Chance für die Große Koalition

Berlin · Politikwissenschaftler argumentieren gerne, dass Große Koalitionen in der Demokratie nur ein Ausnahmefall sein sollten. Zu erdrückend die Macht, zu übergreifend die gesellschaftspolitische Deutungshoheit eines solchen Bündnisses. Wenn dem so ist, dann sollte es auch eine politische Selbstverständlichkeit sein, dass Große Koalitionen sich auch Großes vornehmen.

Die umfassende Themenliste, die Union und SPD am Montag bei gedeckten Apfelkuchen abarbeiteten, zeugt jedenfalls von einer solchen Einsicht. Der Wille bei wesentlichen Persönlichkeiten — vor allem bei SPD-Chef Sigmar Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel — ein schwarz-rotes Bündnis auch inhaltlich eine tragfähige Perspektive zu geben, ist vorhanden.

Eine Föderalismusreform, die endlich das Thema Finanzverflechtungen anpackt, ist ebenso richtig wie ein Neuanlauf in der Bildungspolitik, bei der Kinderbetreuung, in der Zuwanderungspolitik und der Energiewende. Wenn sich Union und SPD nun auch noch auf eine marktverträgliche — das heißt Brancheninteressen berücksichtigende — Mindestlohnregelung einigen könnten und statt Steuererhöhungen auch mal über das Sparen reden, könnte Schwarz-Rot, Teil III besser werden als es viel erwarten.

Die erste Große Koalition bis 1969 bewältigte mit einer "konzertierten Aktion" und der Stabilitätspolitik des legendären Ministertandems Strauß und Schiller ("Plisch und Plum") die Rezession, die zweite schwarz-rote Koalition bis 2009 setzte mit der Rente mit 67 und der Schuldenbremse grundlegende Fundamente für die Zukunftsfähigkeit des Sozialstaats und überwand die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit.

Warum soll die dritte Große Koalition nicht eine Koalition des gesellschaftlichen Aufbruchs bei Themen wie Zuwanderung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Fachkräfte und Alterssicherung sein?

(brö)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort