Nach russischen Angriffen Teile der ukrainischen Stromversorgung lahmgelegt

Kiew · Moskau versucht offenbar, den Ukrainern einen harten Winter zu bereiten. Mehr als tausend Orte sind nach russischen Luftangriffen aktuell ohne Strom. Doch viele reagieren darauf nur mit verbissener Wut.

Eine Frau in der ukrainischen Siedlung Kiwshariwka bei Charkiw sammelt Holzstücke neben einem Krater, den ein Raketeneinschlag hinterlassen hat.

Eine Frau in der ukrainischen Siedlung Kiwshariwka bei Charkiw sammelt Holzstücke neben einem Krater, den ein Raketeneinschlag hinterlassen hat.

Foto: dpa/Francisco Seco

Russische Luftangriffe haben am Dienstag Hunderttausende Ukrainer von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten. Die 250 000-Einwohner-Stadt Schytomyr 140 Kilometer westlich von Kiew war zeitweise völlig ohne Strom und Wasser, wie Bürgermeister Serhij Suchomlyn sagte. Krankenhäuser arbeiteten mit Notstromversorgung. Russische Raketen trafen auch zwei Energieanlagen in Kiew und beschädigten eine weitere in der Stadt Dnipropetrowsk, wie die Behörden mitteilten. In Kiew gab es zwei Tote.

Der Gouverneur der Region Saporischschja meldete ein Feuer an einer Infrastruktureinrichtung, ausgelöst durch sogenannte Kamikaze-Drohnen, die sich auf Ziele stürzen und dann explodieren. Von Russland umfunktionierte Luftabwehrraketen trafen die Stadt Myolajiw. Nach Angaben des Regionalgouverneurs wurde unter Gebäudetrümmern die Leiche eines Mannes entdeckt. In Charkiw schlugen acht Raketen in ein Industriegebiet ein.

In Schytomyr gelang es zwar, Teile der Stromversorgung wieder herzustellen, doch etwa 150 000 Menschen waren nach Stunden immer noch ohne Strom, wie die Regionalbehörden mitteilten. „Mir fallen nur noch Kraftausdrücke ein“, sagte der 33-jährige Computerfachmann Pawlo Rabostschuk. Nur kleine Geschäfte, die ohne Strom arbeiten können, hätten noch geöffnet. Er bereite sich auf einen harten und dunklen Winter vor und habe bereits einen Vorrat aus Trockennahrung, warmen Sachen und Batterien angelegt.

Russland attackiert seit Anfang vergangener Woche verstärkt das ukrainische Stromnetz, offenbar um dem Land vor dem herannahenden Winter die Heizmöglichkeiten zu nehmen und den Widerstandsgeist der Bevölkerung zu brechen. Dabei setzt Moskau nicht nur Raketen, sondern auch im Iran gebaute Drohnen ein, die auch Wohnhäuser treffen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj twitterte, seit vergangener Woche seien 30 Prozent der Kraftwerke im Land zerstört worden. In der gesamten Ukraine sei es zu massiven Stromausfällen gekommen. Russland nutze die Kamikaze-Drohnen, weil es den Krieg verliere. „Russland hat keine Chance auf dem Schlachtfeld und es versucht, seine militärischen Niederlagen mit Terror zu kompensieren“, sagte Selenskyj.

Der Minister für Gemeinden und Territorialentwicklung, Oleksij Tschernyschow, teilte mit, seit 10. Oktober hätten russische Raketen und Drohnen 408 Ziele in der Ukraine getroffen, darunter 45 Energieanlagen und mehr als 180 zivile Gebäude. Die Ukrainer würden sich davon aber nicht unterkriegen lassen. „Solche Terrortaten des Aggressors mobilisieren und stählen uns nur noch mehr“, sagte Tschernyschow.

In Schytomyr sagte Schuldirektorin Iryna Kolodsynska, sie habe ihre Schüler 30 Minuten nach Ende des Luftalarms wieder in den Klassenräumen gehabt. Weil die Computer keinen Strom hätten, würden Mathegleichungen jetzt wieder an die Tafel geschrieben. „Wir dürfen nicht zusammenbrechen“, sagte Kolodsynska. „Es gibt Regionen, die viel mehr unter dem Krieg gelitten haben als wir.“

Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War urteilte, Russland gehe es angesichts der ukrainischen Gegenoffensive mehr um Psychoterror als um die Auswirkungen solcher Angriffe auf dem Schlachtfeld. Nach Einschätzung von US-Geheimdiensten bekommen die russischen Truppen wegen des verstärkten Einsatzes schwerer Waffen ein Nachschubproblem. Insbesondere Präzisionswaffen wie Marschflugkörper seien bereits knapp geworden, sagte die Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste, Avril Haines, in Washington. Internationale Sanktionen und Exportkontrollen zeigten technologische Schwächen Russlands auf. Moskau sei gezwungen, sich an Länder wie Iran und Nordkorea zu wenden, um von dort Artilleriegranaten, Raketen, Drohnen und andere Ausrüstung zu beziehen.

(mzu/dpa)
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