Nach Wahldesaster in Großbritannien Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigt Rückzug an

London · Die Labour-Partei muss bei der Großbritannien-Wahl eine herbe Wahlschlappe einstecken. Parteichef Jeremy Corbyn will zwar nicht sofort zurücktreten, hat aber bereits angekündigt, die Partei in einem weiteren Wahlkampf nicht führen zu wollen.

 Seinen Platz im Unterhaus hat er gesichert: Labour-Chef Jeremy Corbyn hält eine Rede.

Seinen Platz im Unterhaus hat er gesichert: Labour-Chef Jeremy Corbyn hält eine Rede.

Foto: AFP/ISABEL INFANTES

Einen sofortigen Rücktritt nach dem sich abzeichnenden herben Rückschlag für Labour bei der Parlamentswahl lehnte er am frühen Freitagmorgen jedoch ab. Vielmehr wolle er während eines „Reflexionsprozesses“ Parteichef bleiben.

Den Auszählungsergebnissen zufolge verlor Labour bei der Wahl am Donnerstag viele Stimmen und bekam nur knapp 200 der 650 Sitze im Parlament. Britische Medien sahen Premierminister Boris Johnson als klaren Sieger der Wahl. Seine Tories würden 350 Sitze im 650 Sitze umfassenden Parlament bekommen, hieß es bereits nach Auszählung eines Drittels der Stimmen.

Das Ergebnis sei für seine Partei „sehr enttäuschend“ sagte Corbyn. Das spaltende Thema Brexit habe „zu dem Ergebnis beigetragen“. Er widerstehe jedoch dem Druck aus den eigenen Reihen, sofort zurückzutreten. Für Labour ist das Wahlergebnis das schlechteste seit 1935.

Während Johnson im Wahlkampf für einen zügigen Austritt aus der EU geworben hatte, hatte Corbyn keine klare Position zum Brexit vertreten. Er plädierte für Nachverhandlungen über das Ausstiegsabkommen, über das dann ein Referendum stattfinden sollte. Bei diesem Referendum wollte er "neutral" bleiben.

Die dramatische Wahlniederlage von Labour hatte aber wohl auch mit den sehr niedrigen persönlichen Beliebtheitswerten Corbyns in der Bevölkerung und seinem dezidiert linksgerichteten Programm zu tun. Sein eigenes Mandat im Wahlkreis Islington North in London konnte Corbyn aber immerhin verteidigen.

Bei der Wahl 2017 hatte Labour mit Corbyn als Frontmann den Konservativen noch mehr als zwei Dutzend Mandate abgejagt und sie in eine Minderheitsregierung gezwungen. Doch jetzt ging es steil bergab.

Corbyn war von Anfang an umstritten. Unglückliche Äußerungen zum Nahost-Konflikt und Zaudern bei der Verurteilung antisemitischer Äußerungen von Parteifreunden rückten ihn in die Nähe des Antisemitismus. Beim Brexit-Kurs vermissten viele die klare Linie. Corbyn musste zwischen den pro-europäischen Labour-Wahlkreisen um London und den europakritischen Arbeitergegenden in Nordengland und Wales vermitteln.

2015 hatte Corbyn die Partei übernommen, nachdem sein Vorgänger Ed Miliband die Parlamentswahl gegen den damaligen konservativen Premierminister David Cameron verloren hatte. Corbyn hatte zu diesem Zeitpunkt schon acht Mal das Direktmandat im Londoner Stadtteil Islington gewonnen.

Der prinzipientreue Corbyn arbeitete für Gewerkschaften, bevor er in die Politik ging. Dem Unterhaus gehört er seit 1983 an. Zeitweise galt der inzwischen 70 Jahre alte Routinier als eine Art moderner Robin Hood, der es von den Reichen nehmen will, um es den Armen zu geben.

(vek/dpa/AFP)
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