Analyse zur Krim-Krise Hat der Westen eine militärische Option?

Düsseldorf · Wladimir Putin setzt seine Streitkräfte ein, um die ukrainische Halbinsel an Russland anzugliedern. In Georgien war es ähnlich. Vor allem die kleinen Staaten im Baltikum sind tief besorgt. Sie fürchten, dass sie das nächste Expansionsziel Moskaus werden.

 Unheimliche Begegnung: Ein britischer "Eurofighter" hat vor England einen russischen Atombomber (oben) abgefangen.

Unheimliche Begegnung: Ein britischer "Eurofighter" hat vor England einen russischen Atombomber (oben) abgefangen.

Foto: AP

Ob russische Atombomber wie im Juni 2011 bedrohlich nahe an Hamburg vorbeifliegen, ob deutsche Abfangjäger wie im September 2009 über dem Baltikum in Scheinluftkämpfe mit russischen Kampfjets verwickelt werden — viele Jahre hat der Westen das Säbelrasseln Russlands ignoriert oder gar als harmlose Großmannssucht von Präsident Wladimir Putin milde belächelt. Nach dem Mauerfall 1989 schien eine militärische Bedrohung aus dem Osten für immer Geschichte zu sein und das westliche Verteidigungsbündnis Nato deshalb zunehmend bedeutungslos.

Doch der russische Einmarsch auf der Krim weckt plötzlich böse Erinnerungen an den langen Kalten Krieg zwischen Ost und West. Und erste Zweifel gibt es: Ist die Nato nach ständiger Abrüstung und der Konzentration auf Auslandseinsätze wie in Afghanistan oder in Afrika überhaupt noch militärisch eindrucksvoll genug, um Moskau von weiteren Aggressionen abzuschrecken? Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt das Beispiel der Panzertruppe der Bundeswehr: Sie verfügte über 3349 Kampfpanzer, besitzt jetzt noch etwa 300 und will auf 225 "Leopard 2" abrüsten. Zum Entsetzen der Nato haben die Niederlande ihre Panzertruppe sogar komplett abgeschafft — ohne das Bündnis vorher darüber zu informieren.

Wertet man Angaben von Rüstungsforschungsinstituten aus, verfügt das russische Heer dagegen über mehr als 20 000 Kampfpanzer, darunter mindestens 1000 moderne vom Typ T-90. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fristeten Moskaus Streitkräfte zwar zunächst ein Schattendasein; ein Teil der Waffen war nicht mehr einsatzbereit. Doch seit 2007 läuft ein großangelegtes Modernisierungsprogramm.

Auf der Einkaufsliste des Kreml standen damals unter anderem 50 Langstreckenbomber, Tausende Panzerfahrzeuge für 200 Kampftruppenbataillone, 31 Kriegsschiffe, acht Atom-U-Boote und ein Satelliten-Frühwarnsystem — finanziert durch internationale Öl- und Gasverkäufe. Wie modern die russische Armee inzwischen ausgestattet ist, zeigen die Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, die auf der Krim aufmarschiert sind: Anhand ihrer Waffen und Funkgeräte kann die Nato genau zuordnen, zu welchen neu ausgerüsteten Verbänden sie gehören.

Am auffälligsten ist die Modernisierung der Raketen. Westliche Experten vermuten, dass Russland 2500 Atomsprengköpfe und 700 Interkontinentalraketen besitzt. Angeblich ist unbekannt, auf welche Ziele sie programmiert sind. Nur kurz für Aufregung sorgte vor einigen Monaten die Ankündigung, Moskau werde in Kaliningrad, einer russischen Exklave zwischen Polen und Litauen, neue "Iskander"-Atomraketen stationieren. In ihrer Reichweite lägen damit Berlin und Warschau.

Russland hat eine Million Soldaten unter Waffen, hinzu kommen 800 000 Mann "sonstiges Militär" in den Grenztruppen und Truppen des Innenministeriums. Bestrebungen, das Massenheer aus Wehrpflichtigen zur Berufsarmee umzubauen, wurden von Putin gestoppt — anders als in Deutschland, wo die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt wurde.

Die Nato hat nicht untätig zugesehen, während ihr Nordostbereich zum Spannungsfeld wurde. Bereits seit 2004 überwachen deutsche Jäger im Wechsel mit Jets anderer Nato-Staaten den Luftraum Estlands, Lettlands und Litauens. Auch Island wird so geschützt. Und auf Wunsch der skandinavischen und östlichen Nato-Staaten verlegte das Bündnis sein jährliches "Steadfast"-Manöver im November 2013 in den Ostseeraum. Es richte sich nicht gegen Russland, sondern "gegen jeden, der irgendwie auf die Idee kommt, die Nato anzugreifen", betonte der deutsche General Hans-Lothar Domröse, der die Übung leitete.

Die sich bedroht fühlenden Länder rüsten auf: 119 weitere "Leopard" hat Polen 2013 in Deutschland bestellt und kann damit ab 2015 mehr Kampfpanzer als die Bundeswehr einsetzen. Norwegen hat 2013 die Wehrpflicht auf Frauen ausgedehnt. Die USA, damals wie heute die dominierende Kraft in der Nato, die die Defizite der Europäer ausgleichen muss, verstärken unter anderem Polen mit eigenen F-16-Jägern.

In der Krim-Krise hält sich die Nato jedoch zurück, obwohl die Russen an der Grenze zur Ukraine offenbar größere Verbände konzentrieren. Das Bündnis hat lediglich durch weitere US-Jets den Schutz des Baltikums und Polens erweitert. Eine militärische Option etwa zur Unterstützung der Ukraine hat die Nato nicht. Wohl aber kann sie Putin bei Polen und dem Baltikum glaubwürdig eine rote Linie vorgeben, die er nicht überschreiten darf.

Militärische Abschreckung ist indes nicht die einzige Waffe der westlichen Diplomatie. Nato-Experten sehen das Einfrieren russischer Vermögenswerte in Europa und den USA als besonders wirkungsvoll an: Kämen die Oligarchen rund um Putin nicht mehr an ihr Geld, würden sie seine Expansionspläne bremsen.

(RP)
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