Dozenten-Leben Wie wird man Gralskönig?

Manchmal werde ich gefragt, wie ich denn meine beiden Berufe als Studienberaterin und als Dozentin für die deutsche Literatur des Mittelalters unter einen Hut bringen könne, weil doch beide Bereiche gar nichts miteinander zu tun hätten. Finde ich nicht. Im Gegenteil, das Mittelalter ist uns näher, als Sie denken, und manchmal wünschte ich, die heutigen Studenten nähmen sich ein Beispiel an den literarischen Vorbildern. Ritterliches Benehmen kam nicht nur am Hof des König Artus gut an. Wie diese Ritter sich in verschiedenen Abenteuern würdig erweisen mussten, einen Platz an der Tafelrunde zu erhalten, so ist die Bewährungsprobe für heutige Studierende ein Praktikum. Und leider erinnern viele Studenten im Praktikum an Parzival in der Gralsburg. Er ist so sehr damit beschäftigt, in seiner neu erworbenen Ritterrüstung cool zu wirken, dass er nicht auf die Idee kommt, die entscheidende Frage zu stellen. Hätte er schon ein Handy gehabt, er hätte sicherlich ein paar schöne Selfies gemacht. Aber die Chance, etwas Sinnvolles zu tun, verpasst er so und steht am nächsten Morgen vor verschlossenem Tor. Das Praktikum habe gar nichts gebracht, höre ich heute in diesen Fällen, sei im Übrigen auch langweilig gewesen. Arbeitgeber klagen dagegen, die Studierenden säßen uninteressiert herum und warteten darauf, unterhalten zu werden.

Parzival erkennt immerhin, dass sein Verhalten dumm war, und ergreift die Chance, als sie sich ihm noch einmal bietet. Er stellt diese eine Frage, mit der man auch heute Pluspunkte sammelt: "Kann ich helfen?" Schon schwindet die Langeweile, die Aufgaben werden spannender und anspruchsvoller. Unser Parzival wird am Ende sogar Gralskönig. Wenn das mal kein Ansporn ist.

(RP)
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