Kreml verbietet "gefährliche Inhalte" Russen bangen um die Simpsons

War es das für die "Simpsons", "Tom und Jerry" und andere? Viele Russen befürchten, dass ihre Lieblinge den Behörden zum Opfer fallen. Die nämlich verbieten erstmals überhaupt "gefährliche Inhalte" im Fernsehen. Als Grund nennen sie den Kinderschutz.

Wir sind die Simpsons!
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Mit dem rauchenden Wolf, der in der russischen Zeichentrickserie "Nu pogodi!" (Na, warte) einen Hasen jagt, sind auch in Ostdeutschland Generationen von Kindern aufgewachsen. 40 Jahre nach Erscheinen des tierischen Rüpels im Fernsehen entspinnt sich um den Wolf mit der Zigarette im Maul eine Debatte, wie die russische Öffentlichkeit sie noch nicht erlebt hat. Hintergrund ist ein neues Gesetz über den bessern Schutz für Kinder vor "schädlichen Informationen". Und das setzt vor allem auch westliche Kultfilme wie "Tom und Jerry" und die "Simpsons" quasi einer Zensur aus.

Es herrscht helle Aufregung in der russischen Medienwelt um das als völlig praxisfern kritisierte Gesetz. Von diesem Samstag an müssen Fernsehsendungen nicht nur mit Altersfreigaben ausgezeichnet werden. Szenen mit Schimpfwörtern oder etwa rauchenden Figuren dürfen per Gesetz nun nicht mehr zu Zeiten ausgestrahlt werden, wenn Kinder üblicherweise vor der Glotze hocken.

Dass etwa der Klassiker "Hase und Wolf" nun erst nach 23.00 Uhr laufen darf und nicht mehr als Gute-Nacht-Geschichte, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Wer gegen die neuen Vorschriften verstößt, dem drohen Geldstrafen bis zu 200 000 Rubel (5000 Euro) oder sogar Sendeverbot.

Nachdem seit kurzem auch für das Internet ein ähnliches Gesetz gilt, beklagen Kommentatoren, dass die Freiheiten in Russland immer weiter beschnitten würden. "Bei uns läuft ein Kampf um Sauberkeit und Moral", erklärt die oberste Kinderpsychiaterin der Stadt Moskau, Anna Portnowa. Es sei Blödsinn, sich den Wolf aus "Nu pogodi!" vorzunehmen, weil den Kindern doch klar sei, dass er ein haariger Rowdy und kein Vorbild ist. Sie sieht dagegen eine Gefahr in der als echt dargestellten Gewalt. "Tod und Mord werden so zu etwas Gewohntem. Die Kinder hören auf zu verstehen, was Tod ist - und das er für immer ist", sagt sie.

"Das ist so eine dumme Frömmelei", schimpft der Schauspieler Wassili Liwanow in der Boulevardzeitung "MK". Er leiht etwa dem Pfeife rauchenden russischen Zeichentrick-Krokodil Gena die Stimme - oder spielt oft auch den paffenden Detektiv Sherlock Holmes.

Schon zu Sowjetzeiten - als der damalige Kommunistenchef Michail Gorbatschow seine Anti-Alkoholkampagne durchsetzte - wurde etwa der Klassiker "Ironie des Schicksals" (1975) um ein Saufgelage in einer Sauna zeitweilig nicht gezeigt. Russische Medien nennen jetzt fast täglich Fälle, in denen Zensur greife. So steht etwa der neue Dokumentarfilm "Anatomija Tatu" über die russische Mädchenband wegen angeblicher Verherrlichung von Kinderpornografie in der Kritik.

Dem zu großen Teilen vom Kreml gesteuerten Fernsehen drohe eine "Sittenstrenge wie im Iran", schreibt das Blatt "MK". Die Zeitung hebt hervor, dass die Regierung auf vielen anderen Wegen mehr für die Kinder tun könne. Und noch ein Aspekt: Die Trickfilmindustrie liege wegen der kaum werbewirksamen Kundschaft heute am Boden.

Die Fernsehmacher rätseln nun, ob sie es einfach darauf ankommen lassen, dass der Aufsichtsbehörde Roskomnadsor fragliche Szenen entgehen oder sie die Inhalte herausschneiden oder retuschieren. Die Behörde verweist darauf, dass jeder Kanal selbst für die Altersfreigabe und das Gezeigte die Verantwortung trage. Allerdings sehen Experten jede Menge offene Fragen bei dem Gesetz. So sei nicht klar, wie etwa mit Nachrichtensendungen voller Blut und Gewalt umzugehen sei, um nicht gegen den Kinderschutz zu verstoßen.

"Das Gesetz tritt zum 1. September in Kraft, aber meiner Meinung nach funktioniert es bisher nicht", sagt der Kinderschutzbeauftragte der Stadt Moskau, Jewgeni Bunimowitsch. In der Boulevardzeitung "Moskowski Komsomolez" betont er, dass nicht Moralkommissionen, sondern Fernsehräte über das Programm entscheiden müssen. Außerdem seien auch Eltern verantwortlich dafür, was sie ihre Kinder im Fernsehen anschauen lassen.

(dpa)
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