Die Schlacht um Kachelmann

Am 31. Mai urteilen die Richter darüber, ob die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Jörg Kachelmann stimmen. Gestern teilte der Angeklagte offiziell mit, dass er wieder verheiratet sei. Ein genialer PR-Coup? Es wäre nicht der erste im Fall Kachelmann. Oder in der deutschen Justiz.

Mannheim Der Kampf um den guten Ruf wird mit harten Bandagen geführt. Knapp drei Wochen, bevor die Mannheimer Richter darüber befinden, ob Jörg Kachelmann tatsächlich seine Ex-Freundin vergewaltigt hat, präsentiert sich der Angeklagte als frisch getrauter Ehemann. Am 9. März habe er Mirjam das Ja-Wort gegeben, sagte Kachelmann gestern, am 41. Verhandlungstag, zum Ende der Beweisaufnahme. Die 25-jährige Studentin war schon bei seiner Verhaftung im vergangenen Frühjahr an seiner Seite gewesen. Gerüchte um eine Hochzeit des 52-Jährigen gab es schon Ende März, als er während der Verhandlung einen Ehering trug. Und wie damals wurde auch gestern wieder spekuliert, inwieweit die Heirat eine Image-Kampagne sein könnte, ein gezielter PR-Coup, mit dem Kachelmanns Berater den Angeklagten als soliden Bürger erscheinen lassen wollen.

Mit Medienanwalt Ralf Höcker hat sich Jörg Kachelmann einen Berater eingekauft, der sein öffentliches Image noch halbwegs retten und das Gericht durch öffentliche Stimmungsmache beeinflussen soll: Ralf Höcker ist Kölner Rechtsanwalt für Marken- und Medienrecht, RTL-Fernseh-Jurist ("Einspruch! Die Show der Rechtsirrtümer"). Neben Kachelmann zählen auch Supermodel Heidi Klum und Ehemann Seal zu seinen Mandanten. Im Laufe des Kachelmann-Prozesses hatte Höcker unter anderem angekündigt, gegen ein von Frauenrechtlerin Alice Schwarzer geplantes Buch über den Fall vorzugehen. Er wolle falsche Berichterstattung verhindern, sagte Höcker zur Begründung. Wer Schwarzers bisheriges Wirken in dem Fall betrachte, könne sich ziemlich sicher sein, dass ihr Buch angreifbare Rechtsverletzungen enthalte.

Die Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit einem Prozess hat System – und einen Namen: Litigation-PR. Anwälte und PR-Profis versuchen, den Ausgang des Verfahrens über die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Professionelle Meinungsmacher rufen Journalisten an, bieten Hintergrundgespräche an, stellen gefilterte Informationen zur Verfügung. Diese Strategie, die seit den Neunzigerjahren in den USA sehr populär ist, hat sich seit einigen Jahren auch in Deutschland zu einem neuen Geschäftsfeld entwickelt. Die Zunft profitiert davon, dass die Justizbehörden nur schwerfällig kommunizieren und das Recht kompliziert sein kann. Da sind Journalisten manchmal froh, wenn ihnen jemand Informationen zusteckt.

Manchmal finden sie es aber auch lästig. So erzählt Alice Schwarzer, Verlegerin und Chefredakteurin der Zeitschrift Emma, sie habe vor einer Talkshow zum Fall Kachelmann von Höcker ungefragt eine Mail erhalten: "Liebe Frau Schwarzer, sie sind am Sonntag bei Frau Will. Sie können mich jederzeit anrufen, falls sie eine Frage haben, auch am Wochenende. Hier ist meine Handynummer."

Versuche der Beeinflussung gab es auch im größten Wirtschaftsprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte: im Fall Mannesmann. Die Düsseldorfer Richterin Brigitte Koppenhöfer ließ 2004 die Klage gegen den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, den früheren IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel und vier weitere Manager und Aufsichtsräte zu – wegen Untreue und Beihilfe. "Noch nie während meiner 25-jährigen Dienstzeit als Richterin ist derart massiv versucht worden, auf die Entscheidungen direkt oder indirekt Einfluss zu nehmen", sagte Brigitte Koppenhöfer in ihrem persönlichen Vorwort zur Urteilsbegründung. Verteidiger und Angeklagte hätten versucht, die Presse mit mehr oder weniger Erfolg zu instrumentalisieren. Die Richterin sieht sich als "unabhängig, aber deswegen nicht unbeeinflussbar" an. "Unter den Roben stecken Menschen mit Mut und Ängsten und mit einer ganz eigenen subjektiv gefärbten Vorstellung von der Welt", sagt sie. Sie ist sich sicher: "Jeder Richter interessiert sich für ,seinen Prozess'; er liest alles, was es darüber zu lesen gibt." Auch sie habe während des Mannesmann-Prozesses die Berichterstattung gelesen. "Denn durch die Berichterstattung schleicht sich ein weiterer unsichtbarer, unkalkulierbarer und unkontrollierter Schöffe ins Beratungszimmer. Nur wenn wir ihn als solchen erkennen, können wir unsere Befangenheit überwinden."

Dass Richter unabhängig sein sollen, ist ein Ideal, das vom Rechtsstaat gefordert wird. In einer Untersuchung des Mainzer Kommunikationsforschers Hans Mathias Kepplinger gab jedoch mehr als die Hälfte der befragten Richter und Staatsanwälte an, dass Medienberichte sich auf ihr Verhalten auswirken. 42 Prozent der Staatsanwälte antworteten auf die Frage, ob sie bei dem geforderten Strafmaß an das Echo in der Öffentlichkeit denken würden, mit "Ja". Bei den Richtern waren es 58 Prozent. Ein Drittel gab zu, dass Medienberichte Einfluss auf die Höhe der Strafe haben. Und fast jeder Vierte sagte, dass davon die Entscheidung für oder gegen eine Bewährung beeinflusst wird.

Ralf Höcker kämpft weiterhin für seinen Mandanten Kachelmann und gegen Alice Schwarzer. Erst kürzlich verhängte das Oberlandesgericht Köln ein Ordnungsgeld in Höhe von 2000 Euro gegen die Frauenrechtlerin. "Frau Schwarzer hatte schon zum zweiten Mal gegen das gerichtliche Verbot verstoßen, Jörg Kachelmanns früherem Strafverteidiger zu unterstellen, er habe dessen frühere Freundin als "Stalkerin" bezeichnet, heißt es auf der Homepage des Anwalts. Schwarzer will sich dennoch nicht den Mund verbieten lassen – ihr Buch über den Fall Kachelmann soll nach Prozess-Ende veröffentlicht werden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort