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Wesel Schwere Zeiten, gute Zeiten

Wesel · Über Mirnoye und Protassowo in Sibirien, dem Auffanglager Osnabrück sowie Unna-Massen kam Irina Martens 1990 nach Wesel. Der Rheinischen Post erzählte die 39-jährige Russland-Deutsche ihre abwechslungsreiche Lebensgeschichte.

Seit beinahe 20 Jahren wohnt Irina Martens in Wesel. Ihre Kindheit und Jugend verlebte sie in Sibirien. Doch sie fühlt sich als Deutsche, spricht die Sprache exzellent und lebt heute mit ihrem Mann Juri und zwei Töchtern am Spessartweg in einem hübschen Einfamilienhaus. Irina Martens gehört der siebten Generation ihrer Familie an, die im 18. Jahrhundert im Osten sesshaft wurde. 1797, ein Jahr nach dem Tod Katharinas der Großen, die die Deutschen ins Land geholt hatten, war ein Vorfahr menonitischen Glaubens namens Fröde aus dem preußischen Tiegenhof ins ukrainische Dorf Schostak ausgewandert. Im Krieg, unter Stalin, wurde die Familie 1941 in mehr als 40 Tagen in Viehwaggons nach Sibirien verschleppt. Es gab Bombardements, zahlreiche Leidensgenossen verhungerten, Babys starben.

Eine Menge Fotos bis hin zu den Ururgroßeltern hat Irina Martens retten können, als sie 1990 im Rahmen der großen Auswanderungswelle mit ihrem gerade fünf Monate alten Baby und vorläufig ohne ihren Mann aus dem Dorf Protassowo, Region Altai, ins Land ihrer Vorväter zurückkehrte. Ansonsten brachte sie wenig ins erste Auffanglager Osnabrück mit. Später zog sie nach Unna-Massen um. Eine schwere Zeit. Omas Bibel und ihre eigenen Tagebücher gehörten zu den wenigen Erinnerungsstücken. "Ich hatte eine glückliche, unbeschwerte Kindheit", sagt die 39-Jährige.

"Oma war der liebe Gott"

Die Familie lebte mit sieben Kindern, Eltern und Großmutter zuerst auf einem kleinen Selbstversorger-Hof in Mirnoye, inmitten der sibirischen Steppenlandschaft. Es gab eine Kuh, Hühner und einige Schafe. Im Winter gab's 30 Grad minus, im Sommer 30 Grad plus. Ab 1974 zog man in die nahe gelegene Kolchose Protassowo. Die nahezu rein deutsche Bevölkerung sprach Platt – eine Mischung aus Holländisch, Englisch und Hochdeutsch. Noch heute erinnert sich Irina Martens an Speisen wie "Jedonste Itscheke" (gedünstete Kartoffeln) oder "Strüdele" (Kartoffeln, Fleisch und Teig). Sie erinnert sich: "Oma war der liebe Gott im Haus. Sie sah nach dem Rechten, hütete uns Kinder und las aus der alten Bibel vor." So entging die Wahl-Weselerin der verstaatlichten Erziehung im Kindergarten. Die Eltern gingen derweil ihren Berufen als Farmleiter und Verkäuferin im Kolchose-Laden nach.

Später kam Irina Martens zu den Pionieren und andere Einflüsse dominierten. In den Ganztagsschulen wurde Russisch und Deutsch als Muttersprache unterrichtet. "Das waren ganz andere Lehrer. Wir hatten Respekt, standen nur auf, wenn wir an der Reihe waren", sagt sie. In den 1980er Jahren unternahmen die Schulen den Versuch, Deutsch zu verbieten. Doch zu Hause überlebten die Traditionen. Ansonsten führte Irina Martens ein ganz normales Teenager- Leben, mit Postern an den Wänden ihres Zimmers. Sie machte eine Ausbildung zur Tanzlehrerin und kam viel herum.

Nicht alle, so berichtet sie, hätten übrigens die Ära Gorbatschow als so heilbringend erlebt wie der Westen. "Unter Breschnjew konnte man jedenfalls besser einkaufen", lächelt Irina Martens. "Einmal schrieb ich einen Brief an Gorbatschow, damit meiner Tante die Ausreise bewilligt wurde. Hat funktioniert."

(RP)
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