Yulia Vershinina von „Die Partei“ Diese Domina sitzt jetzt im Neusser Stadtrat

Interview | Neuss · Erstmalig hat „Die Partei“ einen Sitz im Neusser Rat ergattert – den wird Yulia Vershinina (32) einnehmen. Wie sie sich die Arbeit vorstellt, erzählt sie im Interview.

 Mut zu schrillen Kostümen und Outfits: Yulia Vershinina ist auch unter dem Künstlernamen Vivian Vaine aktiv.

Mut zu schrillen Kostümen und Outfits: Yulia Vershinina ist auch unter dem Künstlernamen Vivian Vaine aktiv.

Foto: Vivian Vaine

Auch in Neuss hat „Die Partei“ mit skurrilen Wahlplakaten auf sich aufmerksam gemacht. Belohnt wurde das mit dem ersten Sitz im Neusser Stadtrat. Wollen Sie wirklich mitgestalten oder planen Sie fünf Jahre Ironie-Politik?

Yulia Vershinina „Die Partei“ betrachtet ihre Politik nicht als Ironie, sondern als Satire – und gefühlt unterscheiden wir uns von den etablierten politischen Gegnern damit doch nicht wirklich. Sind denn bei der SPD „sozial“, bei der CDU „christlich“, den Liberalen „freiheitlich“, der AfD „Alternative“ nicht schon die angeblichen Grundprinzipien dieser Parteien viel näher an Ironie als am tatsächlichen Handeln? Ein Ziel wird es sicherlich sein, entsprechend falsches und heuchlerisches Handeln in der Politik schonungslos dem Bürger und den handelnden Personen vor Augen zu führen. Darüber hinaus soll aber unbedingt, wo immer es möglich ist, auch konstruktiv mitgestaltet werden.

Sie persönlich machen keinen Hehl daraus, als Domina zu arbeiten. Welche Eigenschaften können Sie von dieser Tätigkeit mit in den Rat nehmen?

Vershinina Ich mache auch keinen Hehl daraus, eine ausgebildete Kunsthistorikerin zu sein. Warum wird danach aber nie gefragt, sondern immer nach dem Einen? Damit wäre ich sicherlich gut im Kultur-Ausschuss aufgehoben, schließlich habe ich während des Studiums auch ein Praktikum im Clemens-Sels-Museum absolviert und weiß um einige Schwierigkeiten der Kultur-Szene in Neuss. Aber zurück zur Frage. Die wichtigsten Erfahrungen aus dieser Tätigkeit sind: Toleranz gegenüber jedem Menschen und seinen Neigungen, solange sie keine negative Auswirkung auf andere haben. Zudem ist Vertrauen auf das gegenseitig einvernehmliche Handeln wichtig sowie Respekt vor dem Anderen und seinen persönlichen Grenzen. Hinzu kommt Menschenkenntnis: Ich habe zwar hauptsächlich männliche Kunden, diese verteilen sich aber über das ganze Spektrum der Gesellschaft, auch wenn große Teile der Bevölkerung dies oft nicht wahr haben wollen

Ihr Wahlkampf ist stets provokativ und auffällig. Sie posieren zum Beispiel im Leder-Outfit und machen die Merkel-Raute. Welche Reaktionen haben Sie von Bürgern erhalten?

Vershinina Um überhaupt wahrgenommen zu werden, bleibt kleineren Parteien nichts anderes mehr übrig als provokanter aufzutreten. Leider ist die mediale Präsenz der großen Parteien zu erdrückend und vor allem der AfD und ihren gezielten Tabu-Brüchen wird überdimensional viel Aufmerksamkeit geschenkt. Grundsätzlich haben wir aber bis auf das Plakat „Nazis töten.“ nur positive Resonanz von Bürgern erhalten.

Auf einem Wahlplakat posieren Sie als Superheldin. Welche Bösewichte gilt es in Neuss zu bekämpfen?

Vershinina In Neuss, in NRW, in Deutschland und der gesamten Welt sind es überall die gleichen Bösewichte und Monster, deren Namen Rassismus, Sexismus, Intoleranz, Gleichgültigkeit und Egoismus sind.

Fotos: Das ist der neue Stadtrat in Neuss
60 Bilder

Das ist der neue Stadtrat in Neuss

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Foto: Andreas Woitschützke

Werden Sie auch in den Ratssitzungen versuchen, derartig aufzufallen?

Vershinina Im Hinblick auf die Kleidung vermutlich nicht, schließlich soll es im Rat dann doch um sachliche Inhalte und nicht äußere Verpackungen gehen. Und ich möchte außerdem keine Kollegen vom Denken ablenken, was schnell passieren kann, wenn es zu aufreizend wird. Ich trage bevorzugt schwarz, aber das ist eine andere Geschichte.

Welche politischen Inhalte stehen bei Ihnen oben auf der Liste?

Vershinina Mehr Bewusstsein in der Bevölkerung für die gesellschaftlichen Probleme schaffen. Den Finger in die Wunde legen, dass die etablierten Parteien aufgrund ihrer Verstrickungen und Abhängigkeiten mit und von den Lobbyverbänden, nur noch bedingt Lösungen suchen und dann vor allem nur eingeschränkt umsetzen können oder wollen. Besonders wichtig ist die Problematik der jahrzehntelang verfehlten Integrationspolitik, die mit der Flüchtlingskrise 2015 einen neuerlichen Höhepunkt erreicht hat und dies nicht erst durch die Aussage „Wir schaffen das“. Das zweite Anliegen, das uns sehr am Herzen liegt, ist Bildung.

Haben Sie politische Vorerfahrung?

Vershinina In Osnabrück habe ich an einem wunderbaren Projekt teilgenommen, das „Kommunalpolitik in die Schulen“ hieß. Dabei durften die Schüler Ausschüsse und Ratssitzungen besuchen, um sich ein Bild davon machen zu können, wie Politik vor Ort funktioniert. Zudem war ich ein Mitglied im Deutsch-Russischen Jugendparlament. Es war spannend zu beobachten, wie manche mit Herzblut und wenig Ahnung von den politischen Gepflogenheiten bei der Sache waren, oder gar nur ein wenig Spaß zusammen haben wollten, und andere schon die typischen Politiker-Verhaltensweisen an den Tag legten. Beides würde ich selbst nicht als ernsthafte politische Erfahrungen einstufen – aber man wächst mit seinen Aufgaben.

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