Serie Gladbacher Lesebuch (37) Als ein umgekipptes Regal den Wintervorrat vernichtete

Rheindahlen · Der Autor erinnert sich daran, wie bei ihm zuhause früher eingekocht wurde. Eines Abends jedoch fielen die Gläser aus dem Regal und der gesamte Vorrat war dahin.

 Auch bei Erich Krappen standen früher Einmachgläser im Regal. Nach einem Malheur wurde dieses verstärkt, damit es nicht noch einmal umkippen konnte.

Auch bei Erich Krappen standen früher Einmachgläser im Regal. Nach einem Malheur wurde dieses verstärkt, damit es nicht noch einmal umkippen konnte.

Foto: Stade, Klaus-Dieter (kds)/Stade,Klaus-Dieter (kds)

Der Sommer in Rheindahlen war in den Nachkriegsjahren für mich eine unbeschwerte Zeit. Ein liebevolles Elternhaus, drei ältere Geschwister die mich verwöhnten, viele Freunde, keine Schulprobleme, es war rundum lebenswert. Doch das änderte sich für eine gewisse Zeit, wenn mein Vater die ersten Säcke mit Obst und Gemüse heran schleppte. Alles, was zum Einkochen taugte, kam in Gläser verschiedener Größen. Meine Mutter und meine Schwestern saßen nach der Arbeit stundenlang in der Küche und pulten Erbsen und Dicke Bohnen aus den Schoten, oder schnitten Berge von Fitschbohnen. Auf dem Herd oder Gaskocher brodelten Kessel und die Küche war vom Dampf so vernebelt, dass man sich wie in einer Sauna fühlte.

Meine Anwesenheit war in dieser Zeit nicht besonders erwünscht, denn mit meiner Neugier und Naschsucht hätte ich die hygienischen Bedingungen durcheinander gebracht. In der Nähe eines offenen Glases, leer oder schon gefüllt, zu atmen, galt als Sabotage, wurde aber nicht bestraft, sondern ich wurde meistens mit einem Groschen aus der Küche gelockt, um etwas Süßes im Kaufladen zu holen. Alle waren nervös und achteten auf peinlichste Sauberkeit, damit der Wintervorrat auch gut gelingt. Nach der zeitweiligen Hektik lief alles wieder normal, bis zu einem kalten Winterabend. Nach dem Abendessen wurde bei uns zusammen gesungen, meine jüngere Schwester spielte auf einem kleinen Akkordeon und mein Bruder quälte dazu eine Gitarre. Ich saß wie immer neben meinem Vater auf dem Sofa und wir hörten ergriffen „Lili Marleen“ oder die „Rose vom Wörthersee“. Meine Mutter schmetterte gerade eine Arie aus dem „Land des Lächelns“ als es plötzlich einen dumpfen Knall gab und die Hausmusik abrupt beendete.

Als es keine erkennbare Ursache für das Geräusch in der Wohnung gab, ging ich in den Keller. Ein großes, vollgefülltes Wandregal war auf eine darunter stehende Stellage mit rund 250 Gläsern gestürzt und hatte bis auf wenige Gläser den gesamten Wintervorrat vernichtet. Wir haben viele Tage gebraucht, um die Tränen meiner Mutter zu trocknen. Jetzt war ich endlich gefragt, denn ich durfte die ganze Mischung aus Glas, Gummiringen, Essiggurken, Perlzwiebeln, Mixed Pickles, Kompott und so weiter eimerweise entsorgen. Im folgenden Jahr wurde das Einkochritual wiederholt, allerdings mit doppelt verstärkten Regalen.

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