Kolumne Denkanstoß Das gehört sich nicht

Mönchengladbach · Unsere Autorin beobachtet die Folgen davon, wenn Angst aggressiv macht.

 Agressivität nimmt in unserer Gesellschaft zu, findet unsere Autorin.

Agressivität nimmt in unserer Gesellschaft zu, findet unsere Autorin.

Foto: dpa/A3542 Karl-Josef Hildenbrand

Die neue „Mittestudie“ von Allensbach bestätigt, was wir schon lange vermutet haben: Eine nicht geringe Zahl von Menschen hat Angst. Ganz oben bei den Ängsten rangieren die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands, vor dem Klimawandel – und vor der Politik des US-amerikanischen Präsidenten Trump. Das ist nicht neu – schon seit Jahren gibt es dieses Ranking. Angst zu Zeiten, in denen es uns objektiv so gut wie nie geht? Das ist schon bemerkenswert.  Eine andere Feststellung der Allensbachstudie dagegen haben wir vielleicht schon beobachtet oder am eigenen Leib erfahren: Vier von fünf Befragten konstatieren eine zunehmende Aggressivität im gesellschaftlichen Umgang. Wahrscheinlich hängt das auch mit der Angst zusammen. Wo die Angst herrscht, etwas zu verlieren, da werden Menschen schneller aggressiv.

Das geht von den Gaffern über diejenigen, die Rettungskräfte behindern, bis hin zu denen, die über die Straße pöbeln, weil man vielleicht das Auto nicht ganz gerade geparkt hat. Der Ton ist ruppig, das Verhalten nicht selten rüpelhaft geworden. Kälte macht sich breit. Von Überfremdung ist die Rede. Davon, dass man nicht mehr sagen könne, was „wahr“ ist. Es wird darüber philosophiert, dass „etwas vorgehe in Deutschland“, die Wahrheit nicht gesagt werde, die Menschen für dumm verkauft würden. Und leider scheinen das viele zu glauben.  In den Internetforen, in denen sich Menschen zu bestimmten Nachrichten äußern, kann einer das Blut gefrieren über so viel schamlose Gemeinheit, und das betrifft nicht nur die AfD-Posts. Ganz normale Menschen fühlen sich frei unter Decknamen oder  anonymisiert, nicht selten ganz offen, auf das Übelste und beleidigend über die Kanzlerin der Bundesrepublik herzuziehen oder Morddrohungen an Politiker zu schreiben.

Früher war der Satz „Das gehört sich nicht!“ oft nur ein Mittel, alles Mögliche zu behindern und klein zu halten. Aber was da jetzt gerade passiert: Das gehört sich nicht! Neulich habe ich auf einem Auto einen Aufkleber entdeckt: ein dicker Autoreifen, unter dem zwei Zöpfe hervorgucken. Darüber das Wort „Erledigt!“. Die Botschaft ist klar: Macht Greta platt! Man kann über Greta denken wie man will, aber mal ehrlich – was kann einen Menschen zu der Idee veranlassen ein kleines Mädchen zu überfahren und vor welchen Lattenzaun ist eigentlich der gerannt, der sich das auch noch aufs Auto klebt? Die Aufkleber konnte man bei Amazon bestellen, dort wo es auch eiserne Kreuze (zum Aufkleben, mit gummierter Rückseite) und schwarzweißrote Deutschlandfahnen (vollwaschbar) zu kaufen gibt. Der Anbieter hat den Mist inzwischen aus dem Programm genommen. Aber der Ungeist bleibt.

Manchmal bin ich ratlos, wie man das noch aufhalten kann. Es macht mir Sorgen, wenn ich mir vorstelle, dass Rücksicht, Anstand und Freundlichkeit vergessene Tugenden werden könnten. Vielleicht sollten wir alle mal an einer Freundlichkeitsoffensive arbeiten: „Guten Tag“ sagen, ein „schönes Wochenende“ wünschen, „Bitte“ und „Danke“ sagen, nicht mit den Fingern – oder womit auch immer – auf andere zeigen, aufmerksam sein, wenn jemand Hilfe braucht (ja, auch wenn sie ein Kopftuch trägt) und nicht immer denken „wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt!“ Klingt nach Kindergarten? Ja, so ist es wohl.

Die Autorin ist ist Leiterin der evangelischen Philippus-Akademie.

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