Leverkusen Türkin vermittelt zwischen den Kulturen

Leverkusen · Die 39-jährige Rechtsanwältin Tülay Kocer engagiert sich sozial. Sie hilft jetzt erstmalig in der Moschee in ihrer Geburtsstadt Leverkusen ehrenamtlich Türken in ihrer Muttersprache, das deutsche Rechtswesen zu verstehen.

 Die türkisch-deutsche Rechtsanwältin Tülay Kocer bietet Informationsveranstaltungen in der Ditib-Moschee an.

Die türkisch-deutsche Rechtsanwältin Tülay Kocer bietet Informationsveranstaltungen in der Ditib-Moschee an.

Foto: Lothar Berns

Als Spagat beschreibt die türkisch-deutsche Rechtsanwältin Tülay Kocer ihr Leben: Denn die 39-Jährige vereinbart ihr Leben als moderne, deutsche Akademikerin mit ihrer muslimischen Familientradition: "Der Spagat ist schwierig", gibt sie zu. Aber für die Fachanwältin für Familienrecht eröffnen sich auch beide Kulturen, in denen sie sich mit gleichermaßen perfekten Sprachkenntnissen hin- und her bewegt und versucht.

Geboren wurde Tülay Kocer als zweite Tochter einer sogenannten Gastarbeiterfamilie in Leverkusen. Ihr folgten eine weitere Schwester und ein Bruder nach. Vater Mehmet Kocer war 1967 noch zwei Jahre vor seiner Ehefrau nach Deutschland ausgewandert: "Meine Eltern haben immer gesagt, dass sie ja nicht lange bleiben werden. Und inzwischen hat mein Vater 40 Jahre lang bei Bayer Schicht gearbeitet", berichtet Tülay Kocer. Wie viele in Deutschland geborene Kinder wurde Tülay zunächst zur Großmutter in die Türkei geschickt. Da war sie ein Jahr jung. Als Kindergartenkind kam sie nach Leverkusen zurück aus Anatolien – und sprach kein Wort Deutsch: "Das war sehr schwer für mich, die anderen Kinder haben mich ausgelacht und ständig korrigiert", erinnert sie sich.

Doch Tülay war ehrgeizig: "In der fünften Klasse kam für mich der Durchbruch, ich sprach besser Deutsch. Was ich dann erreicht habe, das habe ich aus eigener Kraft geschafft. Und ich habe meine Geschwister sogar noch mitreißen können", erzählt sie. Während ihre ältere Schwester Hausfrau und Mutter wurde, so war Tülay die erste Frau in der Familie, die Abitur machte und studierte. Ihre jüngere Schwester studierte Medizin und ihr Bruder wurde Polizist, ein ehrgeiziger, freut sich seine Schwester und berichtet stolz: "Mein Bruder hat dann noch an der Polizeihochschule studiert und seine Examensarbeit über Pro NRW und die Salafisten geschrieben."

Derweil hat die Rechtsanwältin, die in einer Kanzlei am Niederrhein tätig ist, auch das soziale Engagement in ihren Blickwinkel gerückt. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des neuen Vereins "Augenhilfe Afrika" und bringt dort ihren juristischen Fachverstand mit ein. In ihrer Heimatstadt Leverkusen möchte "die Tochter von Mehmet Kocer", wie Tülay in der türkischen Gemeinde genannt wird, sich jetzt ebenfalls ehrenamtlich engagieren.

So wird die Fachanwältin für Familienrecht am 18. Oktober, 22. November und 13. Dezember, jeweils ab 16 Uhr in der Leverkusener Ditib-Moschee, Informationsveranstaltungen anbieten. Denn sie weiß, dass vor allem auch türkische Frauen, ebenso wie die Männer immer wieder Fragen zum deutschen Recht haben, die ihnen nur wenige Mitmenschen auch in der türkischen Sprache beantworten können. Eine Einzel-Rechtsberatung soll dieses Angebot aber nicht darstellen, macht Kocer deutlich. Aber sie sagt: "Ich möchte gerne etwas zurückgeben." Ihre Eltern hätten sie immer darin unterstützt, sich auch als türkisches Mädchen zu bilden und ihren Weg in der deutschen Gesellschaft zu machen, ohne dabei ihre türkische Kultur zu verlieren.

Auch junge Leute möchte Kocer ansprechen, denn sie weiß, dass sich viele junge Türken als chancenlos in der deutschen Gesellschaft betrachten. Aber sie warnt: "Ich bin da radikal, wenn sich jemand mit Rassismus nur herausreden will. Unterschwellig gibt es den Rassismus zwar, aber er ist keine Entschuldigung dafür, sich in der deutschen Gesellschaft nicht anstrengen zu müssen."

(RP)
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