Theater Krefeld Der Mann, der Jeanne d’Arc ist

Krefeld · Philipp Sommers Herzenswunsch ist es, die Jeanne d’Arc zu spielen. Die französische Ikone hat ihn schon als Jungen fasziniert. 3500 Kilometer ist er auf dem Motorrad ihre Geschichte abgefahren. Am Samstag, 23. Mai, startet seine Audio-Produktion „Der Fall d’Arc“.

 Philipp Sommer taucht ein in das Leben von Jeanne d‘Arc. Im Podcast gibt er Einblicke in sein Theaterprojekt, das 2020/21 zu sehen sein wird.

Philipp Sommer taucht ein in das Leben von Jeanne d‘Arc. Im Podcast gibt er Einblicke in sein Theaterprojekt, das 2020/21 zu sehen sein wird.

Foto: Vera Maria Schmidt

Was muss das  für eine Frau sein, für die sich ein junger Mann in den heißen Augustwochen aufs Motorrad setzt und in 17 Tagen 3500 Kilometer runterreißt, um ihr auf die Spur zu kommen? Genau das wollte Philipp Sommer wissen. Seit 20 Jahren ist er fasziniert von ihr. Mit vielen Fragen ist er im vergangenen Sommer aufgebrochen nach Frankreich  - zu Lebensspuren von Jeanne d’Arc.

Wer war sie:  Bauernmädchen oder Kriegerin, Ketzerin oder Wahnsinnige, Hexe oder Heilige? Nach dem Menschen, der zum Mythos wurde, hat er gesucht. „Mein großer Wunsch war immer, einmal Jeanne d’Arc zu spielen.“ Der Wunsch erfüllt sich in der kommenden Spielzeit im Theater. Als Vorgeschmack auf den Soloabend, den der 32-Jährige mit Regisseurin Maja Delinic und Dramaturg Martin Vöhringer erarbeitet, gibt es einen vierteiligen Podcast – sozusagen eine Hörspielreihe, die am Samstag, 23. Mai, um 19.30 Uhr startet.

Seinem Wunsch war Sommer bereits 2016 ganz nah gekommen: Als Abschlussarbeit der Schauspielschule Stuttgart hat er einen Monolog geschrieben, hat sich aus diversen Theatern 20 Kostümteile besorgt, geübt, auf Schuhen mit Absatz zu gehen. „Das verändert den Gang. Ich wollte spüren, wie es sich für sie angefühlt hat mit erhobener Brust und erhobenem Haupt gegen alle Widerstände anzutreten“, erzählt Sommer.

Sein Projekt hat er geheim gehalten –  und sich in den Tagen vor dem Auftritt Horroszenarien ausgemalt: Was, wenn alle lachen? Und? „Alle haben gelacht. Nach einer Weile wurde ich wütend, dass ich mit meinem Text nicht beginnen konnte. Genau wie damals Jeanne wurde ich gar nicht ernst genommen. Ich habe mit der Faust auf den Tisch gehauen.“ Er hat sich Gehör verschafft. Am Ende waren alle begeistert.  „Manche hatten Tränen in den Augen.“ Sie hatten gespürt, wie ernst ihm seine Sache war. Und der Schauspieler hat sich so tief in seine Rolle eingefühlt, wie er es nicht mal geahnt hatte.  Auch er hat gegen alle Widerstände durchgezogen, was ihm am Herzen lag.

Die Geschichte beginnt eigentlich viele Jahre früher, in einer Videothek, wo der damals 13-Jährige mit einem   Schulfreund einen Film ausleiht. Das Cover  zu Luc Bessons „Johanna von Orleans“ überzeugt sie. „Das war meine erste Berührung mit der Geschichte. Die Willenskraft und diese Beharrlichkeit, mit der sie glaubte, etwas tun zu müssen und sich durch nichts abbringen lässt, haben mich gepackt. Und  dann: eine Frau in jener Zeit. Das ist eine unfassbare Geschichte“, findet er. „Ich habe auch im Jugendalter bei meinen Vorbildern nicht zwischen Männern und Frauen unterschieden. Mich interessieren die Taten einer Person.“

Natürlich ist Sommer die Parallele aufgefallen: Er war 13, als ihm das mutige Mädchen aus Lothringen erstmals begegnete. Jeanne, von der kein genaues Geburtsdatum bekannt ist (vermutlich 1412), muss um die 13 gewesen sein, als sie ihre ersten Visionen hatte. Der Hundertjährige Krieg um den französischen Thron tobte. 1429 machte sie sich auf, der Botschaft himmlischer Stimmen folgend  und mit dem Auftrag, Frankreich vor den Engländern zu retten und den Dauphin, den späteren Karl VII., zum König krönen zu lassen. Die Schlacht bei Orléans brachte den Franzosen den Sieg und Jeanne, die mit Rüstung und Schwert die Truppen anführte, Ruhm. Als die Befreiung von Paris scheiterte, wurde sie der Häresie und des Hexenwerks angeklagt. Am 30. Mai 1431 wurde sie in Rouen verbrannt. Fast 500 Jahre später, 1920, wurde sie heiliggesprochen.

Auf dem Marktplatz von Rouen erinnert heute eine Gedenkkirche an den Scheiterhaufen: „Das seltsam geformte Dach stellt die Flammen des Scheiterhaufens dar“, sagt Sommer. Dort zu stehen hat ihn aufgewühlt. „Ich bin in Tränen ausgebrochen. Da war sie mir sehr nahe. Überall wird sie glorreich und siegreich auf den Denkmälern dargestellt. In Rouen sieht man sie in Ketten, im Feuer stehend und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das macht sie als Mensch greifbar, der Angst vor dem Feuertod hat und großem psychischem Druck ausgesetzt ist.“ Da werde nachvollziehbar, dass Jeanne aus Angst vor der Todesstrafe ihrem Glauben abgschworen hatte. „Dass sie diesen Widerruf später dann widerrufen  hat, weil sie für das, was sie getan hat, einstehen wollte, ist umso mutiger.“

In Domrémy ist er  - wie einst Jeanne – durch den Wald zu einer Kapelle gelaufen; am nachrestaurierten Geburtshaus und an der Kirche hat er gestanden; hat mit ausgewiesenen Historikern und Jeanne-Experten gesprochen, der These gelauscht, dass Jeanne ein königlicher Bastard und ihr Tod vorgetäuscht wurde, um den Märtyrermythos zu begründen.

Ein Kribbeln im Körper habe er immer gespürt. Aber nirgends so intensiv wie in Rouen und in Orléans, wo seine Unterkunft unmittelbar dort stand, wo das letzte  Bollwerk der Engländer einst war – an eben der Stelle, wo 1429 die Franzosen siegten. Der Stelle, wo vor 600 Jahren vermutlich Jeanne d’Arc gestanden hat. „Zufall“, sagt Sommer.

Im Solo-Abend „Der Fall d’Arc“ wird Sommer die Jeanne spielen, aus ihrer Sicht die Ereignisse aufrollen und die Figur wiederum in die Rolle ihrer Zeitgenossen schlüpfen lassen lassen. Auf  eine Interpretation festlegen, wie es namhafte Schrifttsller von   Schiller bis Shaw   und Anouilh bis Brecht gemacht haben, will er sich nicht. „Wir stellen Fragen, geben aber keine Antworten. Das wäre vermessen.“ Der Podcast gibt einen Eindruck.

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