Corona in Krefeld Das stille Leiden der Demenz-Angehörigen

Krefeld · Einrichtungen und Hilfsangebote für Menschen mit Demenz und deren Angehörige sind seit mehr als zwei Monaten wegen der Corona-Krise geschlossen, eine Wiedereröffnung nicht in Sicht. Eine verzweifelte Situation für alle Betroffenen, auch, weil es kaum finanzielle Unterstützung gibt.

 Die Tagespflegeeinrichtung in Gartenstadt, die Peter Oedigers demenzkranke Mutter besucht, ist seit Mitte März geschlossen. Einen Zeitplan für eine Wiedereröffnung gibt es nicht. Das ist ein großes Problem für viele pflegende Angehörige.  RP-Foto: Thomas Lammertz

Die Tagespflegeeinrichtung in Gartenstadt, die Peter Oedigers demenzkranke Mutter besucht, ist seit Mitte März geschlossen. Einen Zeitplan für eine Wiedereröffnung gibt es nicht. Das ist ein großes Problem für viele pflegende Angehörige. RP-Foto: Thomas Lammertz

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Die Mutter von Peter Oediger ist an Alzheimer erkrankt und dazu schwer depressiv. Noch kann sie zuhause wohnen, „mit viel Aufwand schaffen wir das gerade so eben“, sagt der Sohn. Doch die Corona-Krise bringt Oediger, der jeden Tag für seine Mutter sorgt, an seine Grenzen. Denn alle begleitenden Angebote sind wegen der Corona-Krise Mitte März von jetzt auf gleich weggebrochen. Vor allem der Ausfall der Tagespflege, die seine Mutter dreimal pro Woche besucht hat, wiegt schwer. Eine zeitliche Perspektive für die Wiedereröffnung gibt es zwei Monate nach Schließung immer noch nicht.

Das ist für die Erkrankten eine Katastrophe, für die, wie im Fall der Mutter, konstante Abläufe in der Tagesstruktur sehr wichtig sind. Und für Angehörige wie Oediger ebenfalls. „In der ganzen Diskussion um die Folgen der Corona-Krise kommt die Situation pflegender Anhöriger von Demenzerkrankten schlichtweg nicht vor“, sagt Oediger. „Ich fühle mich von der Politik nicht wahrgenommen und allein gelassen.“ Informationen seien Mangelware, zum Beispiel sei es dringend geboten, einen „Zeitstrahl“ für die Wiedereröffnung der Unterstützungsangebote zu kommunizieren, sagt Oediger in Richtung Politik.

Schwer wiegt auch, dass die finanzielle Unterstützung für Betroffene nicht ausgeweitet worden ist. So ist das Geld aus der so genannten Verhinderungspflege, das pflegenden Angehörigen auch ohne Corona einmal pro Jahr, zum Beispiel für die Urlaubszeit, zusteht, gedeckelt. Ist es aufgebraucht heißt es trotz Corona: Pech für die Angehörigen, die nun gucken müssen, wie sie ihr demenzerkranktes Familienmitglied betreuen lassen – und diese Betreuung bezahlen. Denn das kann schnell teuer werden. Oediger hat selber einen Vollzeit-Job und versucht, mit Hilfe von Freunden und Nachbarn ein Hilfsnetzwerk für seine Mutter am Laufen zu halten. „Ich habe mit allen denkbaren Stellen telefoniert, aber jeder zuckt nur die Schulter, keiner weiß, wie und wann es weitergeht.“

Oedigers Situation ist Beispiel für ein strukturelles Problem. „Die informelle Pflege, also Pflege durch Angehörige, Freunde und Nachbarn, macht in Deutschland den größten Teil der Versorgung von Pflegebedürftigen aus“, schreibt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG). „Rund 60 Prozent der Demenzerkrankten werden zuhause betreut, in der Regel durch eine einzige Hauptpflegeperson und nicht selten rund um die Uhr.“ Peter Oediger arbeitet somit, so formuliert es die Alzheimer Gesellschaft, beim „größten Pflegedienst der Nation“ – denn das sind die Angehörigen. „Der Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung wird in Zeiten von Corona allerdings noch einmal deutlicher sichtbar: Es gibt weder eine finanzielle Unterstützung für diejenigen, die jetzt unbezahlten Urlaub nehmen müssen, weil die Betreuungsangebote wie die Tagespflegen wegfallen, noch werden andere Lösungen entwickelt“, kritisiert die DAlzG.

Manuela Hansmann vom Fischelner Bündnis für Demenz weiß von vielen Betroffenen in Krefeld, die Zeiten der Corona-Krise völlig auf sich allein gestellt sind, weil Tagespflegen und Betreuungsgruppen geschlossen sind, weder ehrenamtliche Helfer nach Hause kommen noch die Physio- oder Ergotherapiepraxen aufgesucht werden können. „Wir können nur versuchen, den Betroffenen in dieser schweren Zeit eine Stimme zu geben“, sagt Hansmann.

Wann es in der Tagespflegeeinrichtung, die Oedigers Mutter besucht, weitergeht, steht in den Sternen. „Wir hoffen sehr, dass die Lockerungen auch auf die Tagespflege ausgeweitet werden. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit unseren Gästen, auch wenn das voraussichtlich nur in reduzierter Anzahl möglich sein wird aufgrund der Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen“, sagt Andrea Leuker vom Neukirchener Erziehungsverein.

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