Notfälle Notfallambulanz: Patienten aggressiver

Krefeld · Der Pflegerische Leiter berichtet aus dem Alltag der Notfallambulanz am Helios.

 „Insgesamt hat sich die Anspruchshaltung in den letzten Jahren allerdings spürbar verändert. Verbale und zum Teil auch körperliche Übergriffe auf Mitarbeiter der Notaufnahme sind häufiger geworden“: Jürgen Waege, Pflegerischer Leiter des interdisziplinären Notfallzentrums am Helios, berichtet über seinen Alltag.

„Insgesamt hat sich die Anspruchshaltung in den letzten Jahren allerdings spürbar verändert. Verbale und zum Teil auch körperliche Übergriffe auf Mitarbeiter der Notaufnahme sind häufiger geworden“: Jürgen Waege, Pflegerischer Leiter des interdisziplinären Notfallzentrums am Helios, berichtet über seinen Alltag.

Foto: Simon Erath / Helios Krefeld

Wer einmal in der Notfallambulanz saß und kein Hypochonder ist, der weiß: Wenn du da sitzt, brauchst du Hilfe. Als Patient erlebt man Notfallambulanzen meist verbunden mit erheblichen Wartezeiten. Wie erleben die Mitarbeiter ihren Alltag? Wie sind sie für diese besondere, auch: stressanfällige, Situation ausgebildet? Sehen sie wirklich schlimme Fälle oder überwiegt der Typ Hypochonder mit Wehwechen? Wir sprachen über solche Fragen mit Jürgen Waege (59), Pflegerischer Leiter des interdisziplinären Notfallzentrums am Helios Klinikum Krefeld und dort seit mehr als 25 Jahren tätig. Seit 24 Jahren betreut er Patienten in der Notaufnahme.

Wie sieht die Ausbildung zu einem Triage-Pfleger aus?

Waege Neben der Einarbeitung in das System wird die Triage natürlich auch an vielen Fallbeispielen trainiert. Dazu brauchen Sie die pflegerische Kompetenz, die Behandlungsdringlichkeit anhand von knappen Angaben zu einem Patienten ersteinzuschätzen. Das erfordert Übung und setzt eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Notfallpatienten voraus. Dazu gehört auch die Krankenbeobachtung – das heißt wie, kommt ein Patient auf mich zu, wie spricht und bewegt er sich, es werden seine Vitalzeichen erfasst und Symptome abgefragt. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Patient zu niedrig eingestuft wurde, eher dringlicher. Das ist auch evaluiert worden. Dafür sorgt zudem unser ganz persönliches Sicherheitsbewusstsein.

Wie viele Patienten betreuen Sie in einer „Schicht“?

Waege Über den Tag verteilt betreuen wir hier im Notfallzentrum im Durchschnitt 130 bis 140 Patienten. Morgens nach 10 Uhr wird es spürbar voller, Hauptfrequenzzeit ist der Spätdienst. Das Spektrum dieser Notfälle ist sehr weit gefächert, es reicht von einfachen Bagatellen bis hin zu schweren lebensbedrohlichen Zuständen.

Man hört immer wieder von langen Wartezeiten: Sind die Leute eher aggressiv? Müssen Sie oft schlichten, beruhigen?

Waege Ja, das ist natürlich abhängig vom Patientenaufkommen. Auch in unserer Notaufnahme kommt es zu längeren und für die Patienten und Angehörigen nicht immer nachvollziehbaren Wartezeiten. Die Reaktionen darauf sind ganz unterschiedlich. Wenn das Vorgehen für die Wartenden transparent und nachvollziehbar ist, haben die meisten Verständnis für längere Aufenthalte in der Notaufnahme. Insgesamt hat sich die Anspruchshaltung in den letzten Jahren allerdings spürbar verändert. Verbale und zum Teil auch körperliche Übergriffe auf Mitarbeiter der Notaufnahme sind häufiger geworden. Viele Situationen können wir gut entschärfen und beruhigen, müssen aber auch mehrmals im Monat unseren Sicherheitsdienst zur Hilfe rufen – in Einzelfällen sogar die Polizei. Wir versuchen dem auch durch Kommunikations- und Deeskalationsschulungen zu begegnen.

Warum muss man so lange warten?

Waege Unser interdisziplinäres Notfallzentrum ist hoch frequentiert. Wie schnell ein Patient behandelt wird, richtet sich danach, wie dringend seine Erkrankung oder Verletzung versorgt werden muss. Um Patienten nach ihrer Ankunft in der Notaufnahme richtig einzuordnen, wenden wir das sogenannte Manchester-Triage-System an. Das ist ein strukturiertes Ersteinschätzungssystem, das mit Hilfe der erfassten Vitalzeichen und geschilderten Symptomen des Patienten die Dringlichkeit der Behandlung ergibt. Dabei wird jeder Patient einer bestimmten Farbe zugeordnet, von blau – nicht dringend –  bis rot – sofortige Behandlung. So ist sichergestellt, dass kritisch kranke Patienten immer schnellstmöglich versorgt werden. Das schafft Transparenz und vermeidet Risiken. Allerdings lassen sich die gesamten Vorgänge in der Notaufnahme vom Warteraum aus nur schwer überblicken. Parallel kommen fortlaufend Krankentransporte über die Liegendaufnahme an. Sind darunter Patienten mit hoher Dringlichkeit, werden diese natürlich zuerst versorgt. Diese Zeitabläufe immer wieder transparent und nachvollziehbar zu machen, ist bei allen Bemühungen um eine patientenorientierte, klare und verständliche Kommunikation nicht immer leicht.

Generell: Wie sind die Leute gestimmt? Aggressiv? Geduldig? Dankbar für Hilfe zu ungewohnter Zeit? Fordernd?

Waege Niemand wartet gerne, das ist absolut verständlich. Grundsätzlich gibt es aber eine hohe Akzeptanz dafür, dass schwerer Erkrankte oder Verletzte auch vorrangig behandelt werden.

Haben Sie den Eindruck, dass manche Leute die Notfallambulanz miss- oder gebrauchen, um gezielt einen niedergelassenen Arzt zu umgehen?

Waege Das Problem überlasteter Notaufnahmen ist ja hinreichend bekannt. Auch wir sehen, dass Patienten mit geringeren Beschwerden unsere Notaufnahme aufsuchen. Dadurch entstehen lange Wartezeiten, wachsende Ungeduld und ein steigendes Aggressionspotenzial. Die Frage, ob es möglich ist, sich bei geringen Beschwerden nicht erst einmal beim Hausarzt vorzustellen, sollte sich jeder im Vorfeld stellen. Das würde schon einen großen Beitrag dazu leisten, notfallmedizinische Ressourcen richtig einzusetzen. Die Anspruchshaltung ist aber oft eine andere.

Gab es für Sie einen dramatischsten oder sehr dramatischen Fall?

Waege Wir sehen als überregionales Traumazentrum natürlich viele dramatische Fälle. Einige sind mir besonders in Erinnerung geblieben, weil sie mich tief berührt haben. Darunter sind auch viele schwere Verkehrsunfälle, auch der eines Kollegen. Gut in Erinnerung geblieben ist mir zum Beispiel der Absturz eines Ultraleichtflugzeuges. Der Pilot hatte schwere Brüche, einen lebensbedrohlichen Einriss der Hauptschlagader, eine Hirnblutung, Einblutungen in Lunge. Ihn nach der Versorgung im Schockraum nach sechs Wochen intensivmedizinischer Betreuung laufend auf dem Flur wiederzusehen, das war bewegend.

Gibt es häufigste Krankheiten in der Notfallambulanz? Sind das eher Unfälle oder eher innere Erkrankungen?

Waege Beides. Als überregionales Traumazentrum versorgen wir regelmäßig schwerstverletzte Patienten. Hier ist das Einzugsgebiet nahezu der komplette linke Niederrhein. Das sind Fälle, bei denen die Traumata lebensbedrohlich sind und jede Sekunde zählt. Wichtige Schwerpunkte sind die Versorgung von Herzinfarkten, Schlaganfällen und chronische Lungenerkrankungen. Durch die angeschlossene Herz- und Gefäßchirurgie versorgen wir auch viele Krankheitsbilder rund um das Herz und die großen Gefäße. Wir sehen aber auch viele Arbeitsunfälle wie Schnitt- und Platzwunden, Frakturen, Wirbelsäulen- und Augenverletzungen. Im Winter kommen saisonale Krankheitsbilder wie Influenza oder Durchfälle hinzu. Bei Glätte sehen wir vermehrt gestürzte Personen mit Frakturen oder Prellungen, im Sommer bei Hitze auch vermehrt Kollapszustände oder Austrocknungen, gerade bei älteren Patienten.

Was ist für Sie die größte Herausforderung und was ist richtig interessant?

Waege Unsere tägliche Herausforderung ist es, alle Patienten, die unsere Hilfe brauchen, bestmöglich zu versorgen. Bei den steigenden Patientenzahlen und der Anspruchshaltung, auch unserer eigenen, kann die Belastung schon enorm sein. Wir haben hier aber ein großartiges Team, das gut aufeinander eingespielt ist. Da stimmt auch der Zusammenhalt. Spannend und herausfordernd sind die vielen Begegnungen, die unterschiedlichen Menschen, Schicksale und Kulturen. Kein Tag ist wie der andere, einen Trott gibt es bei uns nicht. Dass macht diese Aufgabe mit all ihrer Verantwortung für mich so attraktiv, auch nach 25 Jahren noch.

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