Ballettabend Bewegte Szenen eines Tänzerlebens

Krefeld · „Souvenirs aus West und Ost“ ist der autobiografisch am stärksten geprägte Ballettabend von Robert North. Stimmungsvolle und lebensbejahende Szenen aus New York und Kuba gefallen. Am stärksten beeindrucken Ensemble und Orchester mit der russischen Geschichte.

 Starke Szene: Die Vorhänge der Adelspaläste werden heruntergerissen. Und über dem Treiben wacht Stalins Büste.

Starke Szene: Die Vorhänge der Adelspaläste werden heruntergerissen. Und über dem Treiben wacht Stalins Büste.

Foto: Matthias Stutte

Jeden Abend sitzt ein Mann mit seinem gepackten Koffer am Fahrstuhl vor seiner Wohnungstür. Er will seine Frau nicht stören, wenn sie kommen, um ihn abzuholen. Sie: Das sind die Gesandten Stalins. Er: Das ist der Komponist Dmitri Schostakowitsch, der mit seiner unerhört modernen Musik in Ungnade gefallen war, und obwohl er im Auftrage Stalins manche Hymne komponiert hatte, unter Drangsalierungen litt und in der Todesangst lebte, einmal abgeholt zu werden.

Diese Szene aus der Biografie des Komponisten ist eine der bewegendsten in Robert Norths neuem Tanzabend „Souvenirs aus Ost und West“. Obwohl oder gerade weil hier die Bewegung einer lähmenden Starre weicht. Weil sich hier dieser nicht nachvollziehbare Spagat zeigt, in dem ein genialer Künstler eingeschränkt wird, gezwungen, sich einem Willen unterzuordnen, der das brechen will, was ihn ausmacht.

Russland ist das dritte Land, in das der Ballettdirektor sein Publikum führt auf einer Spurensuche sehr persönlicher Art. North hat eigene Erinnerungen an Stationen seines Lebens in Tanzschritte und außerordentlich viele Sprünge übersetzt. Für das Ensemble sind autobiografisch getönte Short Stories aus drei ganz unterschiedlichen Welten nicht nur interpretatorische, sondern auch artistische Herausforderungen. Die alle glücken — und so gibt es am Ende lange Begeisterungsstürme des Publikums.

Zunächst geht es nach Amerika ins tosende New York. Alles ist schnell, rasant. Die Idee von der Stadt, die niemals schläft, entfaltet sich zwischen  schwebenden Wolkenkratzern. Polizisten und Tellerwäschern, Servierfräuleins und Schulmädchen bringen in immer wechselnden Formationen die Quirligkeit und Unbeschwertheit  ihres „Alles ist möglich“-Lebensgefühls. Es ist die Welt der American Diners, der  adretten Doris-Day-Filme und  Martin Luther Kings. Gersh-
wins berühmtes Konzert in F-Dur verbindet sich mit Bernsteins „On the Waterfront“ und Aretha Franklins „Respect“ zu einem oszillierenden Bilderbogen. Fast nahtlos geht es in das von Sonne, Rhythmus und Leichtigkeit geprägte Lebensgefühl Kubas. Das North als junger Mann in der Zeit vor Fidel Castro kennenlernte. Die Musik, wieder Gershwin, setzen die Tänzer in wirkungsstarke Gruppenbilder um.

Tanzabende von Robert North haben ihre feste Dramaturgie: Am Ende kommt der Knaller. Es ist ein geschichtlicher Abriss Russlands. Udo Hesse, der Bühne und Kostüme für den Abend entwarf, hat hier einen zentralen Raum gebaut, der die historische Einordnung bringt. Drumherum entspinnt sich das Leben. Viel Folklore wird aufgefahren, ein witziger Tanz von alten Babuschkas. Aber North erzählt ernsthaft Geschichte. Er lässt Revolutionäre und Manager (großer Beifall für Takashi Kondo, Giuseppe Lazzara und Radoslaw Rusiecki) antanzen, Aristokraten und Jugendliche von heute. Und dazwischen ist Alessandro Borghesani ein immer auf den Punkt bereiter Tod, der alle umgarnt und bezwingt, elegant, kraftvoll und verschlagen. Wie er sich zum Partner Stalins (Takashi Kondo) macht und ihn letztlich bezwingt, ist wundervoll. Teresa Levrini hat als blondmähnige Verkörperung der Russischen Seele ihr gelungenes Debüt als Solistin auf der Krefelder Bühne.

Die Leidenschaft der Compagnie setzt sich auch im Orchestergraben fort. Andreas Fellner lässt die Niederrheinischen Sinfoniker üppig Farbe versprühen und mit Schostakowitschs Musik ein berührendes Seelenbild entwerfen. Grandios ist — mal wieder — André Parfenovs Einsatz als Klavierspieler bei einer Ballettsaalszene auf der Bühne.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort