Kunst in Krefeld Geschichte einer Wiedervereinigung

Krefeld · Durch Zufall wurden vier Krefelder für eine gemeinsame Ausstellung ausgewählt. 20 Jahre später stellen sie wieder zusammen aus.

 Ivo Matijevic (von dem auch die runde Scheibe „Azur“ ist), Tina Hönicke und Karl-Heinz Heming (v.l.) in der GKK.

Ivo Matijevic (von dem auch die runde Scheibe „Azur“ ist), Tina Hönicke und Karl-Heinz Heming (v.l.) in der GKK.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Wenn Iveca Matijevic arbeitet, zählt er seine Buntstifte. Denn die verschwinden in großen Mengen. Sie versinken in seiner Kunst – im wörtlichen Sinne. Matijevic versenkt sie in Löcher, die er systematisch nach einer ebenso präzisen wie willkürlichen Ordnung in seine hölzernen Bildträger bohrt. „Etwa 750. Pro Seite“, sagt er, sind es beim Dyptichon, das im Entree des Kunstspektrums der Gemeinschaft Krefelder Künstler (GKK) hängt. Man könnte nachzählen. Bei den runden Arbeiten im Obergeschoss wäre das kaum möglich: Hier ist die Ordnung nicht so augenfreundlich, hier wird die Fantasie noch stärker in Versuchung geführt, Welten, Landschaften, Himmelskarten zu imaginieren.

Die Lust, kreuz und quer Verbindungen zu suchen – und auch zu finden – wird reichlich belohnt bei der Ausstellung mit dem kryptischen Titel „4K + 20“. Was sich dahinter verbirgt, erzählen die Künstler gern: Iveca Matijevic, Tina Hönicke, Jan Bresinski und Karl-Heinz Heming hatten sich vor 20 Jahren unabhängig von einander für eine Ausstellung im Neuen Kunstverein Regensburg beworben und sind ausgewählt worden. Die Ausstellung „4 K“ (für vier Krefelder Künstler) war ein Erfolg, „obwohl wir ganz unterschiedlich arbeiten“, sagt Heming. Die gegenseitige Wertschätzung hat die Jahre überdauert und mündet nun, 20 Jahre später (+20), erstmals wieder in einer Quartett-Ausstellung. Bis zum 9. Februar ist sie an der St.-Anton-Straße 90 zu sehen.

 "Azur" von Ivica Matijevic  Durchmesser 150 cm 2018

"Azur" von Ivica Matijevic Durchmesser 150 cm 2018

Foto: Petra Diederichs

Zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeitspanne in einem kreativen Leben. Der Rückblick war für die Künstler spannend. „Es macht einen Unterschied, ob man wie ich damals um die 50 war und heute um die 70 ist oder wie Iveca Matijevic in den Dreißigern und heute in den Fünfzigern“, sagt Karl-Heinz Heming. Die Ausstellungsbesucher können die Entwicklungen nachvollziehen. Denn die Künstler zeigen im ersten Raum der GKK jeweils aktuelle Arbeiten. Bei manchen Bildern ist die Leinwand kaum trocken. Im hinteren Erdgeschossraum ist jeweils eine Arbeit aus der „Regensburger Zeit“ zu sehen. Es ist nicht unmöglich,  sie dem jeweiligen Künstler zuzuordnen, aber manchmal hilft auch das Ausschlussverfahren. Die obere Etage bespielen die Vier mit neuen Arbeiten – jeder hat einen Raum für sich. Wer Raum für Raum durchwandert, entdeckt, dass Systematik, Klarheit und eine Neigung zu einer eigenen Ordnung alle verbindet. So unterschiedlich sie das auch umsetzen.

Jan Bresinski, 1954 in Bytom (Polen) geboren und an der Krakauer Kunstakademie ausgebildet, ist von abstrakter Malerei im Jahr 2000 jetzt im Dschungel gelandet: Seine fast quadratmetergroßen Ölgemälde sind grün-gelb leuchtende Naturphänomene. Wer sich in die gemalten Dickichte begibt, entdeckt, dass der Maler mit dem Schein naturalistischer Darstellung ein vertracktes Spiel treibt, dass sich alle vermeintliche Natürlichkeit künstlerisch auflöst. Mit Licht und Schatten lockt Bresinski, die undurchdringliche Flora zu erkunden, einem Geheimnis auf die Spur zu gehen, zu erkennen, was darin steckt.

Mit diesem Effekt ist er den Arbeiten von Iveca Matijevic gar nicht so fern. Matijevic (Jahrgang 1968) hat an der Akademie der Bildenden Künste in Sarajewo studiert und auch ein Staatsexamen in Kunstwissenschaft. Sein frühes Exponat weist ihn klar als Bildhauer aus: ein Wandobjekt aus Eichenholz, das urwüchsige, fast archaische Strukturen mit ästhetisch geglätteten weißen Flächen zeigt. In den neuen Arbeiten hat der Skulpteur die Grenze zur Malerei überschritten. Holz ist sein Material geblieben, die Liebe zur glatten weißen Fläche hat er sich ebenfalls bewahrt. Aber seine Arbeitsschritte laufen nun in die andere Richtung. Hat er bei den Skulpturen noch Material weggenommen, so fügt er dem Holz jetzt Material hinzu: In die gebohrten Löcher seiner Holzplatten treibt er Buntstifte, schmirgelt mit Sandpapier, bis die meisten Stifte  mit der Oberfläche des Bildträgers verschmilzen. Nur der Farbkern der Mine und die hölzerne Umkleidung bleiben als Abbild erkennbar. Ab und zu ragen einige noch als Störelemente mit ein paar Millimetern aus der Fläche heraus. Andere Löcher füllt er mit Leim, der am Rand der Öffnung schnell trocknet, so dass sich kleine Krater bilden. Auf diese Weise entsteht ein spannungsvolles Nebeneinander von Ordnung und scheinbarer Zufälligkeit, an der ein suchender Blick sich vergnüglich abarbeiten kann.

Dass Holz ein fügsames Material ist, macht sich auch Karl-Heinz Heming  bei seinen Steckobjekten zu Nutze.  Die frühe Arbeit  im Erdgeschoss ist ein massiv wirkendes regalartiges Objekt, das Zweckmäßigkeit vorgaukelt, aber beim genauen Hinsehen nur dem Selbstzweck dient. Der 1948 in Gladbeck geborene Künstler hat sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Professor Erwin Heerich absolviert, der unter anderem die Museumsinsel Hombroich geplant hat. Die Affinität zur Architektur ist auch Karl-Heinz Hemings Arbeiten anzusehen. Sein bevorzugtes Material ist Flugzeugsperrholz. Die nur 1,2 Millimeter dicken Holzplatten lassen sich leicht biegen und wirken dennoch stabil. Im Erdgeschoss hängt ein zwei Meter breites Steckobjekt, das den Eindruck von Schwere und Leichtigkeit gleichzeitig vermittelt. Aus einer hellen Platte, die Heming über einen  Stab gebogen hat, ist die schwarz übermalte Mittelfläche ausgeschnitten und – in anderem Biegungsgrad – wieder eingesetzt worden. „So entstehen inhaltliche wie physikalische Spannungsbogen“, sagt er. Fast gemalt und von verblüffender Zartheit sind Hemings Bilder in der oberen Etage, wo er in knallrot gefärbtes Holz mit der Säge feine Linien zieht. Manche wirken wie Gräser asiatischer Porzellanmalerei. Den Reiz, dass er sich bei der filigranen Arbeit auch immer ein bisschen dem Zufall ausliefert, schätzt der Künstler. Wenn die Säge sich zu sehr widersetzt, ist die Arbeit verdorben.

Tina Hönicke will in ihren Arbeiten nichts erzählen. Die 55-Jährige hat Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Bildende Kunst in Kassel studiert und fühlt sich der Konkreten Kunst zugehörig. „Ich will auch keine symbolische Bedeutung vorgeben. Jeder sieht in meinen Arbeiten, was er sehen möchte“, sagt sie und hat auch nichts dagegen, dass ihre schwarze Lackfarbe hinter Glas wie ein Tangram-Bild wirkt: geometrische Figuren, die durch Ausschneiden und Hinzufügen neue geometrische Gebilde ergeben.

„Der Ursprung von allem ist der Kubus“, sagt Tina Hönicke. Sie lotet Räume aus, setzt schwarze opaque Flächen in Verbindung zu transparenten Flächen, schichtet sie und  schafft mit Schwarz, Weiß und Grautönen immer neue Variationen ihres Themas. Bei einigen Hinterglasarbeiten lockert Hönicke  die formale Strenge mit Hilfe von Stahlwolle: Sie raut die Oberfläche auf bis eine wolkige, fast flauschige Weichheit erreicht ist. „Ich habe mich bewusst gegen bunte Farbigkeit entschieden. Aber langweilig darf es  ja auch nicht sein“, sagt sie. Und wer glaubt, mit zweidimensionalen Papierarbeiten ließe sich keine Raumwirkung erzeugen, kann sich im hintersten Raum des Künstlerhauses eines Besseren belehren lassen. – Aus dem Zufall, der die vier Krefelder vor 20 Jahren zusammengeführt hat, ist jetzt wieder eine homogene Schau entstanden. Nicht rein zufällig.

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