Stadt Kempen Panik-Mache oder sinnvolle Bevorratung?

Stadt Kempen · Die RP hat sich zum Thema "Hamsterkäufe" bei Geschäftsleuten und Kunden umgehört. Die meisten sind ziemlich gelassen.

 Ein Geschäftsmann aus Erkrath verkauft Pakete mit allem drin für den Krisenfall. Er kann sich vor Bestellungen kaum retten.

Ein Geschäftsmann aus Erkrath verkauft Pakete mit allem drin für den Krisenfall. Er kann sich vor Bestellungen kaum retten.

Foto: Olaf Staschick

In der Vier-Zimmer-Wohnung der Kempener Familie Mustermann hat sich einiges verändert. Im eigentlich gedachten Kinderzimmer stapeln sich Paletten voller Wasserflaschen, stehen jede Menge Toilettenpapier, Konserven, Kerzen, Batterien und Taschenlampen in den Regalen. Das Radio lässt sich nur noch Batterien oder mit einer Kurbel bedienen und die Badewanne ist seit Wochen nicht nutzbar. Sie ist randvoll mit Wasser gefüllt. Für den Fall, es gibt kein Waschwasser mehr. Horror-Szenario, Panik-Mache oder sinnvolle Bevorratung?

Über das Vorhaben der Bundesregierung, einen überarbeiteten Ratgeber für die Notfallvorsorge und das richtige Handeln in Notsituationen heraus zu bringen, gehen die Meinungen auch in Kempen und Grefrath auseinander. Viele befragte Passanten in den Fußgängerzonen sehen derzeit keinen großen Handlungsbedarf. "Das passt doch prima in die Saure-Gurken-Zeit" oder "Ist schon praktisch, wenn man bei Reaktorunfällen im benachbarten Belgien Saure Gurken oder die Dauerwurst gehortet hat", dies sind nur einige der Kommentare, auch in den Sozialen Medien. "Noch keine Reaktion oder größere Hamsterkäufe", dies meinen Tagen übereinstimmend auch Kassiererinnen in Verbrauchermärkten in Kempen und Grefrath.

"Was soll das, irgendwie ist das doch Schwachsinn", sagt der Vorsitzende des Kempener Werberings, Armin Horst. Er schaut sich gerade die empfohlene Hamsterkauf-Liste für den Notfall an. Darauf stehen unter anderem rohe Kartoffeln und Nudeln, Erbsen in Dosen, Aprikosen im Glas, dazu Horst: "Erbsen und Aprikosenscheiben kann man ja kalt essen, aber was passiert bei längerem Stromausfall, Nudeln und Kartoffeln sind dann wohl nicht das richtige." Reaktionen darauf habe er noch nicht bekommen. Auch nicht bei einem Drogeriemarkt an der Engerstraße. "Die Welt wir immer verrückter", meint eine Mitarbeiterin. "Bei uns sind alle Hamster ausverkauft, kein Mensch weiß, wie man die zubereitet", sagte schmunzelnd auf Anfrage der Rheinischen Post die Mitarbeiterin eines SB-Marktes. Beim Durchgang ist noch alles zur Genüge vorhanden, vom Wasser bis zum Mehl oder Ravioli. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat so seine Vorstellungen. So sollten für einen Zeitraum von zwei Wochen pro Person unter anderem 28 Liter Getränke, nahezu fünf Kilogramm Getreide, Kartoffeln, Nudeln und Reis, 3,7 Kilo Milch- und Milchprodukte oder 3,6 Kilo Obst und Nüsse eingelagert werden. Auch Apotheken und Tankstellen sollten über Wochen hinweg eine entsprechende Vorsorge betreiben.

"Heute war noch keiner hier, der sich mit Mengen von Pflastern oder Salben eingedeckt hat", sagt schmunzelnd die Chefin der Hubertus-Apotheke auf dem Markt in Grefrath, Alice von Laguna. Sie erzählt aber von einer älteren Dame, die kurz vorher bei ihr die erforderlichen Arzneien abholte und sinngemäß gesagt haben soll: "Wir bekommen wieder Krieg, ich habe heute schon mit meiner Schwester telefoniert und ihr geraten, genügende Vorräte zu kaufen." Alice von Laguna werte dies als ein Zeichen, dass gerade die ältere Generation durch entsprechende Pressemeldungen verunsichert sei und davon ausgehe, dass der Notfall kurz bevor stehe.

"Wir haben gestern mal beobachtet, ob das Kaufverhalten bei den Grundnahrungsmittel ein anderes geworden ist", erzählt der Inhaber des Rewe-Marktes an der Schanzenstraße in Grefrath, Frank Kroppen. Er und seine Mitarbeiterinnen haben keine Veränderungen festgestellt; Kroppen: "Lediglich sind Getränke mehr gekauft worden, aber das kann auch mit dem heißen Wetter derzeit zu tun haben."

"Ich koche vieles selber ein, kenne die schlechten Zeiten und habe immer etwas vorgesorgt", sagt hingegen eine 83-Jährige aus Neersen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Bei den älteren Herrschaften, die sie im Ort trifft, sei dies jetzt doch ein Gesprächsthema. "Viele Ältere machen sich Gedanken", bestätigt eine Mitarbeiterin von Haushaltswaren Gartz in Neersen, Magret Thorow. Das Geschäft verkauft unter anderem Kerzen.

Nur sehr vereinzelt berichten Apotheker davon, dass es beispielsweise zum Auffrischen der Hausapotheke erste Nachfragen der Kunden gegeben habe. In der Hausapotheke sollte, so das Bundesamt, für den Fall der Fälle enthalten sein: DIN-Verbandskasten, vom Arzt verordnete Medikamente, Schmerz-, Haut- und Wunddesinfektionsmittel, Mittel gegen Erkältungskrankheiten und Durchfall, Fieberthermometer, Insektenstich- und Sonnenbrandsalbe, Splitterpinzette.

Auch bei den Verwaltungen und den Pressesprechern sind derzeit keine Nachfragen von ängstlichen Bürgern eingegangen. Catharina Perchthaler, Pressesprecherin von Tönisvorst, erinnert daran, dass man noch vor exakt einem Jahr die Bevölkerung über das richtige Verhalten in besonderen Gefahrenlagen informiert und Links mit den entsprechenden Ratgebern des Bundesamtes ins Netz gestellt habe. "Der Ratgeber kann sinnvoll sein, aber was passiert eigentlich mit den Flüchtlingen, die in ihren engen Unterkünften überhaupt keinen Platz haben, solche Dinge auch nur ansatzweise zu horten?", fragt der Vorsitzende der "Tönisvorster Hilfe", Jürgen Beyer. Und für seinen Verein, der regelmäßig Essen an Bedürftige verteilt, sei eine Bevorratung derzeit undenkbar; Beyer: "Wir leben nur von der Hand in den Mund, haben selbst überhaupt keine Lagerfläche, um beispielsweise Konserven über einen längeren Zeitraum aufzubewahren." Beyer sorgt selbst zuhause für eine gewisse Bevorratung, allerdings in Grenzen: "Wir haben beispielsweise wie erwünscht keine Unmengen von Wasserkästen vorrätig, sondern immer nur zwei."

(wsc)
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