Stadt Kempen Gedenken an die Opfer des Holocausts

Stadt Kempen · Bei der zentralen Veranstaltung im Kempener Kulturforum erinnerte die Historikerin Dr. Andrea Löw an das Leben der Juden im Warschauer Getto. Zuvor hatten Bürger am Mahnmal Rosen niedergelegt.

 Bürgermeister Volker Rübo (rechts) hielt die Ansprache bei der Gedenkveranstaltung am Kempener Rathaus.

Bürgermeister Volker Rübo (rechts) hielt die Ansprache bei der Gedenkveranstaltung am Kempener Rathaus.

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

Seit einigen Jahren findet die zentrale Gedenkfeier des Kreises Viersen im Kempener Kulturforum statt, ausgerichtet gemeinsam von der Kreisvolkshochschule (VHS) Viersen und dem Katholischem Forum für Erwachsenen- und Familienbildung Krefeld—Viersen. Der Rokokosaal im Franziskanerkloster war am Montagabend sehr gut gefüllt. Eine Tatsache, die die stellvertretende Landrätin Luise Fruhen bei ihrer Begrüßung freute. Das sei nicht selbstverständlich, meinte sie. "Hier zu erscheinen bedeutet, sich zur Geschichte zu bekennen." Die Greueltaten der Nazi-Herrschaft seien ein Erbe, für dass man sich bis heute noch verantwortlich zeigen müsse. Luise Fruhen erinnerte daran, dass auch im heutigen Kreis Viersen Nazis aktiv waren, nicht nur in Kempen, sondern in jeder Gemeinde im heutigen Kreisgebiet. Einen Schlussstrich zu ziehen sei nicht möglich, meinte die Politikerin. Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer von der VHS sagte eingangs, dass "Holocaust" ein stellvertretender Begriff für das Grauen sei und deshalb dieser Tag des Erinnerns so wichtig sei.

 Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer (l.) und Erich Schützendorf von der VHS mit der Referentin Dr. Andrea Löw (2.v.l.) und Vize-Landrätin Luise Fruhen.

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer (l.) und Erich Schützendorf von der VHS mit der Referentin Dr. Andrea Löw (2.v.l.) und Vize-Landrätin Luise Fruhen.

Foto: Kaiser

Als Referentin der Gedenkveranstaltung war diesmal Dr. Andrea Löw, stellvertretende Leiterin des Münchener Instituts für Holocaustforschung, eingeladen. Hinter dem etwas sperrigen Titel ihrs Vortrags "Gettos im besetzen Polen — Lebensbedingungen und Reaktionen der jüdischen Bevölkerung" verbarg sich ein interessantes Bild des Lebens im Getto. Mit dem Einmarsch der Deutschen in Polen war dort das aktive jüdische Leben schlagartig beendet. Die Menschen wurden in Gettos gebracht. Wobei es für diese Gettos keine einheitlichen Regelungen gab. Manchmal waren dies nur einzelne Straßen, in denen die Juden nun leben mussten, andernorts umzäunte Gelände oder mit hohen Mauern abgegrenzte Gebiete. Der Vortrag der Wissenschaftlerin Andrea Löw konzentrierte sich vor allem auf das Warschauer Getto. Auf engstem Raum waren hier hunderttausende Juden zusammengepfercht. Häufig mehr als zehn Menschen mussten sich einen Raum teilen. Die Essensrationen waren sehr knapp, Krankheiten verbreiteten sich epidemieartig. Hinzu kam, dass ständig neue Menschen ins Getto gebracht wurden. Die Menschen verelendeten.

Besonders betroffen waren die Kinder. Aus Briefen und Berichten aus dem Getto ist überliefert, dass bei allem Elend jeder versuchte, wenigstens den Kindern zu helfen. Die Erwachsenen bemühten sich, eine Schule zu organisieren. Auch ein aktives kulturelles Leben mit Musik und Literatur wurde aufrechterhalten. Vieles von dem ist festgehalten im so genannten Ringelblum-Archiv. Der im Getto internierte Jude Emanuel Ringelblum hat im Untergrund alles Mögliche über den Gettoalltag wie Briefe, Berichte oder Arztrezepte gesammelt. Wie durch ein Wunder haben Teile des Archivs in zehn Blechkisten und zwei Milcheimern den späteren Sturm des Gettos durch die Nazis überstanden. "Falls keiner von uns das überlebt, soll wenigstens das bleiben", hatte Emanuel Ringelblum gesagt.

Vor der zentralen Gedenkveranstaltung des Kreises im Kulturforum erinnerte Bürgermeister Volker Rübo an der Stele am Kempener Rathaus an die aus Kempen deportierten jüdischen Mitbürger. Die 38 Namen stehen für Einzelschicksale, sagte er. Deshalb sollte ein solcher Gedenktag kein bloßes Ritual sein. Der Holocaust habe nicht erst 1939 begonnen, sondern früher. Und auch heute gebe es Ausgrenzung gegen Menschen anderer Religion oder Hautfarbe. "Die Erinnerung sensibilisiert uns," hoffte Rübo. Beim Verlesen der Namen auf der Stele zur leisen Klezmermusik, gespielt von Herbert Holtemeyer, legten Besucher für jeden jüdischen Mitbürger eine Rose nieder. Erfreulich war die große Resonanz. Es waren wohl rund siebzig Besucher gekommen, die still gedachten.

(sr)
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