Kaarst Stadt misst den Lärm in Klassenzimmern

Kaarst · Eine neu gefasste DIN-Norm legt die durchschnittliche Nachhallzeit in Klassenräumen fest. Im Hinblick auf das Thema "Inklusion" könnte diese für die Städte zur Verpflichtung und damit zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung werden.

Schulklassen sind laut. Stuhlbeine, die über den Boden schrappen, Rascheln, Tuscheln, Kichern, Geräusche vom Flur oder von der Straße: All das produziert Lärm — neben dem eigentlichen Unterricht. Nicht nur für das Lernen, sondern auch für die Städte als Schulträger kann das in Zukunft erhebliche Folgen haben, vor allem im Hinblick auf den geplanten integrativen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern, die Inklusion. Auf eine Anfrage der Grünen hin hat die Stadt Kaarst im Februar vier seit 2002 umgebaute und sanierte Klassenräume im Ortsteil Büttgen — im Neubau der Elisabeth-Selbert-Realschule, in der Hauptschule und in der Grundschule an der Lichtenvoorder Straße — beispielhaft schalltechnisch untersucht.

Das Ergebnis: Sowohl an der Real- als auch der Hauptschule sind die sogenannten Nachhallzeiten zu lang. Allein an der Grundschule Budica, in der einer der beiden untersuchten Räume für mehr als 3500 Euro mit einer speziellen schalldämpfenden Deckenkonstruktion versehen wurde, sind die Messergebnisse so, wie sie sein sollten. In einem der beiden getesteten Räume, heißt es in dem schalltechnischen Gutachten des beauftragten Diplom-Ingenieurs Thomas Schnitzler, sei sogar der Unterricht mit Nicht-Muttersprachlern oder Hörgeschädigten möglich. Kommt die Inklusion, muss der in allen Kaarster Schulräumen möglich sein.

Zur Erklärung: Im Durchschnitt herrscht in Klassenräumen ein Schallpegel von etwa 65 Dezibel. Wie gut die Schüler den Lehrer, dessen Stimme bei normalem Sprechen mit etwa 55 Dezibel deutlich leiser ist, im Klassenraum verstehen, hängt auch von der sogenannten Halligkeit ab. Je stärker der Nachhall ist, desto schlechter das Sprachverstehen. Bei einer Nachhallzeit von einer Sekunde verklingt ein eben gesagtes Wort zum Beispiel erst nach einer Sekunde und fällt damit etlichen Folgeworten buchstäblich ins Wort. Die Zuordnung des Wortes zu einem Inhalt, also das eigentliche "Verstehen", leidet unter langen Nachhallzeiten. Das wiederum führt zu lauterem Sprechen, wodurch der allgemeine Geräuschpegel steigt und die Sprachverständlichkeit weiter reduziert wird.

Eine neu gefasste DIN-Norm legt die durchschnittliche Nachhallzeit auf 0,55 Sekunden fest. "Diese Norm", betont der Technische Beigeordnete Manfred Meuter, "unterliegt nicht den bauaufsichtlichen Vorgaben für Schulgebäude". Mit anderen Worten: Sie ist nicht verpflichtend. Im Hinblick auf das politisch schwelende Thema "Inklusion" könnte sie für die Städte dennoch zu Verpflichtung und damit zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung werden. Denn: Beim integrativen Unterricht muss auch auf Schüler Rücksicht genommen werden, die erhöhte Anforderungen an die akustische Qualität des Gesprochenen haben. Neben hörgeschädigten Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund nennt die Norm explizit leistungsschwächere Schüler, Kinder mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen und Kinder mit Sprach- beziehungsweise Sprachverarbeitungsstörungen. Für diese Fälle liegt die tolerierbare Nachhallzeit deutlich unter 0,55 Sekunden. Ein Großteil der Kaarster Klassenräume müssten deshalb wohl schalltechnisch umgebaut werden.

(NGZ/rl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort