Kerken Ein Platz zum Erinnern

Kerken · Im Zweiten Weltkrieg fiel der Großteil der jüdischen Familie Mendel aus Aldekerk dem Holocaust zum Opfer. Einzig zwei Söhne konnten fliehen. An die Familie erinnern seit gestern Stolpersteine. Zur Verlegung kam auch die Enkelin.

Als Gunter Demnig mit seinem Hammer den ersten Stein in den Boden schlägt, läuft Wendy Thompson die erste Träne über die Wange. Ihre Tochter klammert sich an ihren Arm. Die fünf Nachkommen der Familie Mendel – drei Generationen, die weit verzweigt sind – stehen eng beieinander. Es ist ein sehr emotionaler Augenblick. Wendy Thompson ist die Enkelin von Arthur Mendel. Er und sein Bruder Otto überlebten den Holocaust. Seine Eltern und zwei Brüder starben. Seit gestern erinnern sechs Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig an die Familie. Sie wurden in den Boden eingelassen vor dem Haus an der Hochstraße 35, wo sie einst lebten, einen Viehhandel und eine Metzgerei betrieben. Und dann brach der Krieg aus.

"Mein Großvater hat mir so viel bedeutet. Es ist mir wichtig, dass man sich jetzt an ihn erinnert", sagt die 42-jährige Wendy Thompson mit tränenerstickter Stimme. Spontan tritt sie vor und nimmt Demnig das Tuch aus der Hand, mit dem er die goldene Oberfläche der Steine mit Inschrift poliert. Sie kniet nieder, wie an ein Grab, und wischt über die Steine. Dann erzählt sie die Geschichte ihres Großvaters.

Im Jahr 1900 wurde Arthur Mendel als ältester Sohn von Ludwig und Adele Mendel geboren. Bis 1938 lebte er in Aldekerk, dann floh er mit seiner Frau Margret vor den Nazis. Ihre zweijährige Tochter Marianna, die gestern auch anwesend war, musste Margret bei ihrem ersten Mann zurücklassen. "Arthur lebte zehn Jahre lang in China. Dort wurde auch meine Mutter Hanna geboren", erzählt Wendy. Margrets Bruder war es, der als Auschwitz-Überlebender seine Schwester und deren Familie in China fand und nach Amerika brachte. Arthurs Eltern und zwei Brüder waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

"In Amerika baute er sich ein neues Leben auf. Er war ein so lebensfroher und dankbarer Mensch. Doch über den Krieg sprach er nie", erinnert sich Wendy. "Es war einfach zu schmerzhaft." Doch als Überlebender des Holocausts sei es für ihn so gewesen, als wäre er es allen, die es nicht geschafft haben, schuldig, ein glückliches Leben zu führen, sagt Wendy, die die vergangenen zwei Jahre mit ihrem Ehemann und den beiden Töchtern in Berlin gelebt hat.

Im vergangenen November waren sie zum ersten Mal in Aldekerk. "Wir wussten nicht genau, wo das Haus überhaupt steht. Es gab noch keine Steine, die an unsere Familie erinnerten." Als sie das Haus gefunden hatten, parkten sie den Mietwagen am Straßenrand und sangen jüdische Volkslieder. "Es ist wunderbar, dass nun die Steine an sie erinnern." Arthur Mendel starb 1982 in Amerika.

(RP)
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