Emmerich Umstrittenes Alarmsystem für Sozialamt

Emmerich · Mitarbeiter im Fachbereich "Soziales" sollen schneller Hilfe rufen können, wenn sie angegriffen werden. Ob das neue System wirklich Sinn macht, ist aber fraglich. Womöglich birgt es sogar Gefahren. Die Stadt schweigt sich dazu aus.

November 2012: Mord im Neusser Jobcenter - Täter in Haft
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In den Büros des Sozialamtes wird ein neues Alarmsystem installiert. Per Tastendruck sollen die Beschäftigten ihre Kollegen in Zukunft zu Hilfe rufen können, wenn ein Gespräch mit einem Kunden brenzlig zu werden droht. "Es ist einfach so, dass es immer häufiger zu verbalen Auseinandersetzungen kommt", begründete Sozialamtsleiter Hans Sterbenk, als er das Vorhaben in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses zur Sprache brachte.

Anlass zu den Überlegungen war der tödliche Angriff auf eine Sachbearbeiterin im Jobcenter in Neuss. Im September 2012 hatte dort ein 52-jähriger Kunde eine 32-jährige Mitarbeiterin niedergestochen.

Berichten zufolge gab es an ihrer Computertastatur auch Notfallschalter, die sie aber nicht betätigt hatte — vielleicht, weil der Angriff zu schnell kam.

Auch für das Emmericher Rathaus war die Einführung eines Alarmsystems im Gespräch, bei dem eine bestimmte Tastenkombination gedrückt werden muss, um einen Hilferuf abzusetzen. Der würde dann auf den Bildschirmen in den Büros der Kollegen erscheinen.

Ob die Stadt damit gut fahren würde, ist die Frage. Experten sehen Systeme, bei denen im Ernstfall noch Geistesgegenwart und Fingerfertigkeit gefragt sind, nämlich äußerst kritisch. "Ich bin zurzeit in vielen Jobcentern unterwegs, und diese komplizierten Systeme versagen regelmäßig", erklärt der Kommunikationstrainer und Coach Dr. Hermann Hagemann, der unter anderem Sicherheitstrainings in Unternehmen und öffentliche Einrichtungen durchführt. "Wenn Sie jemand angreift, dann haben Sie Angst, die Hände zittern, Sie haben die Tastenkombination vergessen."

Dafür gebe es eine biologische Erklärung: "Bei Stress wird das Großhirn durch die Überflutung mit Adrenalin lahmgelegt, und wir greifen aufs Stammhirn zurück." Und das kenne nur zwei Handlungsoptionen: "Angriff oder Flucht." Das Einzige, was dann noch hilft, sei "der dicke, rote Alarmknopf".

Solche Knöpfe gibt es in Emmerich im Bereich der Arbeitsplätze bereits. Sie lösen ein lautes Signal aus, aber damit gibt es ein Ärgernis: Sie sind so angebracht, dass sie gelegentlich aus Versehen gedrückt werden. Entsprechend wenig Aufregung löst die Sirene in den Fluren und Büros aus.

Auch das ist ein ernsthaftes Problem, führt Hermann Hagemann aus. Wenn es ernst wird, müsse binnen zehn oder zwanzig Sekunden Hilfe da sein. Das heißt: Alle Mitarbeiter müssen wissen, was im Falle eines Hilferufes zu tun ist, und sie dürfen nicht zögern, einzuschreiten. "Die Kollegenhilfe muss organisiert sein."

Die Stadt Emmerich schweigt sich über die Einzelheiten ihres angedachten Systems jedoch aus. "Alarmsysteme öffentlich vorzustellen halten wir für nicht zweckdienlich", sagte Stadt-Sprecher Herbert Kleipaß. Das heißt: Eine offene Diskussion um Sinn oder Unsinn der neuen Anlage soll es nicht geben.

Auch zu den zu erwartenden Kosten äußerte die Stadt sich nicht: Man sei "noch nicht so weit". Ebenso ungewiss ist, wann die Planung in die Tat umgesetzt werden soll oder wie viele und welche Arbeitsplätze angeschlossen werden sollen.

(RP/rl)
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