Brandschutz Frau Thissen muss ausziehen

Himmelgeist · Wegen mangelnden Brandschutzes muss die Seniorin das Haus verlassen, in dem sie seit mehr als 50 Jahren wohnt. Christel Thissen klagt gegen die Zwangsräumung, aber die baurechtlichen Gegebenheiten sind kompliziert.

 Anwalt Norbert Monßen kämpft dafür, dass Christel Thissen in ihrem Haus bleiben kann.

Anwalt Norbert Monßen kämpft dafür, dass Christel Thissen in ihrem Haus bleiben kann.

Foto: RP/Dominik Schneider

Christel Thissen sitzt am Tisch in ihrem kleinen Wohnzimmer, das vollgestellt ist mit Zimmerpflanzen und all dem Nippes, der sich im Laufe eines langen Lebens ansammelt. Am Tisch der 82-Jährigen sitzt bei Keksen und Kaffee ihr Anwalt Norbert Monßen. Thissen hört ihm aufmerksam zu, als er, über einen Ausdruck gebeugt, über Baugrenzen und Verordnungen spricht. Der Jurist ist die letzte Hoffnung der Seniorin. Denn seit einem Monat steht fest: Christel Thissen wird das kleine Haus in Himmelgeist, das sie seit 52 Jahren bewohnt, verlassen müssen.

Die Situation in der ruhigen Seitenstraße ist komplex. Das Haus von Christel Thissen steht zurückgesetzt hinter der eigentlichen Häuserreihe, quasi im rückwärtigen Garten des Hauses, in dem der Eigentümer wohnt. Von der Straße aus führt nur ein schmaler Weg zum Haus der Seniorin: Über die Einfahrt des Nachbargrundstücks und durch eine Lücke zwischen den beiden Garagen.

Ursprünglich war das Haus, in dem Christel Thissen seit über 50 Jahren lebt, nur ein Stall. Diesen hatte der Vorbesitzer gemeinsam mit Thissens inzwischen verstorbenem Ehemann ausgebaut, die Familien waren gut befreundet. Allerdings wurde dieser Umbau nie angemeldet. Inzwischen wurden beide Grundstücke an einen neuen Vermieter, der nicht namentlich genannt werden will, verkauft.

Zwar handelt es sich bei dem Grundstück, auf dem Frau Thissen lebt, laut Bebauungsplan um Wohnfläche, ein Wohnhaus ist dort jedoch nicht verzeichnet, das Objekt wurde nie von den Behörden genehmigt. Und so kam es auch zu keinerlei Protesten von Seiten der Stadt, als der Vermieter des Vorderhauses seine Garage, die ebenfalls vom Vorbesitzer ungenehmigt errichtet worden war, aus- und umbaute. „Der Anbau hatte ursprünglich eine schräge Rückwand, ich habe sie beim Ausbau gerade gezogen“, so der Vermieter im Gespräch mit unserer Redaktion. Das hatte allerdings zur Folge, dass der Durchgang, den Christel Thissen zu ihrem Haus im hinteren Bereich des Grundstücks nehmen muss, nun deutlich schmaler ist. Der Vermieter hat zwar darauf geachtet, eine Lücke zwischen seiner Garage und der des Nachbarhauses zu lassen, diese ist jedoch kaum ausreichend. Die auf einen Rollator angewiesene Seniorin hat seither Probleme, ihr Haus zu erreichen. „Mit einem aufgepannten Regenschirm geht es gar nicht“, sagt sie.

Viel schlimmer ist für Thissen jedoch, dass im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für die neue Garage die Stadt auf ihr Haus, das im Bauordnungsrecht nicht als Wohnraum ausgewiesen ist, aufmerksam wurde. So kam im November der Bescheid: In dem zurückgesetzten, kleinen Haus sei der Brandschutz nicht zu gewährleisten, vor allem, weil die Feuerwehr im Falle eines Brandes keinen Zugang zum Grundstück habe. Der Durchgang zwischen den Garagen sei für Einsatzkräfte ungeeignet. Christel Thissen wird vom Bauaufsichtsamt daher bis zum 31. Januar 2020 Zeit gegeben, ihr Haus zu verlassen.

„Das ist furchtbar“, sagt die Seniorin. Sie könne seither kaum noch schlafen. Ihr Anwalt, Norbert Monßen, hat Beschwerde gegen die Zwangsräumung eingereicht; ein Antrag auf Aufschiebung des Verfahrens wurde jedoch vom Gericht abgelehnt. „Natürlich muss sich die Stadt an die Vorgaben zum Brandschutz halten“, so der Anwalt. „Allerdings kann sie auch aus Rücksicht auf Frau Thissen den milderen Weg gehen und den Spielraum nutzen, den die Gesetze lassen.“ Aktuell schätzt der Jurist die Chancen ausgeglichen, dass Thissen nach Ablauf der gesetzten Frist weiterhin in ihrer Wohnung in Himmelgeist bleiben kann.

Ein Umzug kommt für die 82-jährige Witwe nicht in Frage. Zum einen wohnt sie zu einer sehr günstigen Pacht, die mit dem Vorbesitzer ausgemacht und vom neuen Eigentümer übernommen wurde. Zum anderen sieht sie sich nicht mehr in der Lage, sich noch an ein neues Lebensumfeld zu gewöhnen. „Ich hatte mich darauf eingerichtet, in diesem Haus den Rest meines Lebens zu verbringen“, so die Senioren. Sie glaubt nicht, in ihrem Alter eine bezahlbare Wohnung in der Umgebung zur Miete zu bekommen.

Thissen nennt die Brandschutzvorgaben, die sie nun zum Auszug zwingen, einen „Schwachsinn sondergleichen“. „Ich wohne hier seit 52 Jahren, es gab nie eine Feuerwehrzufahrt und sie wurde nie gebraucht. Warum sollte sich das jetzt ändern müssen?“ Auch ihr Anwalt versteht die Strenge der Stadt nicht. „In den Büros schauen sie nur auf ihre Vorgaben, das persönliche Schicksal ist der Verwaltung egal“, so Monßen. Die Stadt selbst schweigt zu dem Fall, verweist auf den laufenden Prozess und die ausstehende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts.

 Seit 50 Jahren wohnt Christel Thissen in ihrem kleinen Haus im Himmelgeist. Bis zum 31. Januar soll sie ausziehen.

Seit 50 Jahren wohnt Christel Thissen in ihrem kleinen Haus im Himmelgeist. Bis zum 31. Januar soll sie ausziehen.

Foto: RP/Dominik Schneider
 Der Durchgang zum Hinterhaus ist zu schmal für die Feuerwehr.

Der Durchgang zum Hinterhaus ist zu schmal für die Feuerwehr.

Foto: RP/Dominik Schneider

Für die Himmelgeister Seniorin ist jeder Tag, der weiter Unklarheit herrscht, eine Qual. „Ich habe diese Probleme nicht herbeigeführt“, sagt die 82-Jährige. „Und ich hoffe, dass die Stadt ihren gesetzlichen Spielraum ausnutzt, etwas Empathie zeigt und mich hier in meinem Haus für den überschaubaren Rest meines Lebens duldet.“

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