Schausteller auf der Rheinkirmes Das Schaustellerleben von Stephan und Monika Schleinitz war wie eine Achterbahnfahrt

Düsseldorf · Verfolgung in der DDR, Flucht und Neuanfang, dann eine Brandkatastrophe – die Betreiber der Losbude „Hong Kong“ haben einiges überstanden. Heute lassen es Monika und Stephan Schleinitz etwas ruhiger angehen.

Stephan und Monika Schleinitz vor ihrer Losbude „Hong Kong“. Seit 1988 sind sie auf der Rheinkirmes vertreten.

Stephan und Monika Schleinitz vor ihrer Losbude „Hong Kong“. Seit 1988 sind sie auf der Rheinkirmes vertreten.

Foto: Anne Orthen (ort)

Manche Menschen haben ein Leben, das würde für drei reichen. So ist das auch bei Monika und Stephan Schleinitz. Früh aufgestanden sind die beiden 65-Jährigen heute, weil eine Lieferung für ihre Losbude „Hong Kong“ kam. 200 Kartons mit Preisen, extra angefertigt in China. Die Logistik ist schwierig geworden, seufzt Frau Schleinitz. Früher kam die Ware zuverlässig an einem bestimmten Tag. Heute warten die Schausteller darauf, dass die Containerschiffe endlich in Hamburg ablöschen.

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Früher, in der DDR, waren die Preise nicht das Problem. Gurkengläser, Erdnussflips, Sekt, Cola – das konnte das Ehepaar Schleinitz aus Berlin holen. Eine Losbude konnten sie trotzdem nicht betreiben – aus einem ganz banalen Grund. „Es gab keine Lose“, sagt Monika Schleinitz. Mit 18 hatten sie geheiratet. Statt einer Losbude eröffneten die beiden Schaustellerkinder ein Wurfgeschäft namens „Sekt ist Trumpf“. „Die Volksfeste in der DDR waren sehr gut besucht“, erzählt Monika Schleinitz. Die Geschäfte liefen gut. Aber Monika und Stephan Schleinitz wollten trotzdem weg. Immer. „Seit wir verheiratet waren. Wir sind stets angeeckt“, sagt Monika Schleinitz. Und Stephan fügt hinzu: „Wir waren ständig in der Normannenstraße.“ Dort saß die Stasi-Zentrale in Berlin. Schausteller waren selbstständig und reisten viel, auch ins Ausland. Das machte sie per se verdächtig. „Wir waren einfach ein bisschen freier wie die anderen“, sagt Monika Schleinitz.

1981 darf Stephan Schleinitz nach Nürnberg zur Beerdigung seiner Mutter, die als Rentnerin ausgereist war. Seine Frau bleibt zurück. Drei Jahre bleiben die beiden getrennt. „Ich musste mich jede Woche bei der Stasi melden“, erzählt Monika Schleinitz. „Ich sollte die Scheidung unterschreiben – wenn nicht, käme ich nach Russland, da würde mich nie einer finden.“ Endlich kommt die Ausbürgerung. Monika darf zu ihrem Mann. Ein Neuanfang. Doch es dauert, bis sie durch einen Trick ihr Geschäft wiederbekommen. Freunde aus Wien kaufen es der DDR gegen Devisen ab. „3000 Mark“, lacht Stephan Schleinitz, „die hatten keine Ahnung, was das wert ist.“

Die nächsten Jahre betreiben sie eine Losbude im Wiener Prater. Sie sind die einzigen Lizenznehmer für die Figur des Serien-Außerirdischen Alf. „Das lief wie geschmiert“, sagt Monika Schleinitz. Der Prater ist allerdings zu dieser Zeit ein Tummelplatz für Unterweltgestalten. Als sich daher 1988 die Gelegenheit bietet, die Losbude „Glückskönig“ eines Meerbuscher Schaustellers zu übernehmen, greifen die Schleinitz’ zu. Das führt sie auf die Rheinkirmes. Hier passiert 2011 das Unglück: Jemand zündet ihr Geschäft an. Eine Verurteilung deswegen gibt es nie, aus Mangel an Beweisen. Es folgen jahrelange Rechtsstreits, auch mit der Versicherung. Über Wasser halten können sich die Schleinitz’ dank der Firma Löwenthal aus Stuttgart. „Unser größter Konkurrent“, sagt Monika Schleinitz bedächtig. „Er hat sofort gesagt: Ich habe eine Losbude herumstehen – nehmt die erst mal, dann sehen wir weiter.“

Bereits im nächsten Jahr stehen die Schleinitz’ wieder auf der Rheinkirmes. „Mir war die ersten beiden Jahre schon mulmig“, sagt Monika. „Ich konnte auch lange kein Grillfeuer anzünden.“ Unter den Trümmern ihrer Losbude hatten die Brandermittler Grillanzünder gefunden.

Inzwischen tritt das Ehepaar Schleinitz etwas kürzer. Stephan Schleinitz ist seit Jahren nicht ganz gesund. „Hurra, wir leben noch!“, sagt er augenzwinkernd, wenn man ihn fragt. Kinder hat das Paar keine, kümmert sich aber liebevoll um die Neffen. Aufhören? „Naja, wir machen ja jetzt schon nur noch fünf Plätze im Jahr“, sagt Monika Schleinitz beschwichtigend. Gar nicht mehr arbeiten? Das können sich die beiden eigentlich nicht vorstellen. 2020 ist die Losbude mit dem weißen Tiger also sicher wieder auf der Rheinkirmes mit dabei.

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