Interview Martin Philippen und Maria Beck „Bei Unschuld Hennes rehabilitieren“

Düsseldorf · Die beiden engagierten Katholiken Martin Philippen und Maria Beck über die Beurlaubung des Stadtdechanten Ulrich Hennes, die Krise der katholischen Kirche und notwendige Veränderungen

 Martin Philippen, Vorsitzender des Katholikenrats in Düsseldorf, und Maria Beck sprachen über die aktuellen Schwierigkeiten der Kirche und mögliche Wege aus der Krise.

Martin Philippen, Vorsitzender des Katholikenrats in Düsseldorf, und Maria Beck sprachen über die aktuellen Schwierigkeiten der Kirche und mögliche Wege aus der Krise.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Die Beurlaubung von Stadtdechant Ulrich Hennes wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung eines erwachsenen Praktikanten erschüttert Gläubige und Stadtgesellschaft. Wie tief reicht die Verunsicherung?

Martin Philippen Sehr tief. Das Thema von Übergriffen durch Priester und andere Kirchenmitarbeiter wird ja schon seit Längerem intensiv diskutiert. Aber irgendwie war es immer etwas, das sich woanders abspielte. Nun ist es in unserer Stadt angekommen. Und das unmittelbar vor dem Start unserer stadtweiten missionarischen Kampagne #himmelsleuchten, die am Fonleichnamsfest im Juni startet und deren Gesicht nicht zuletzt Stadtdechant Ulrich Hennes sein sollte.

Das Erzbistum hat die Angelegenheit öffentlich gemacht, bevor die Staatsanwaltschaft überhaupt einen Anfangsverdacht bejaht beziehungsweise Ermittlungen aufgenommen hatte. Daran gibt es auch Kritik.

Maria Beck Das kann ich nachvollziehen. Zum Glück hat sich die Kirche nach Jahrhunderten des Verschweigens und Unterdrückens dafür entschieden, alles, was mit Belästigung, Übergriffen oder Missbräuchen zu tun hat, ohne Zögern transparent zu machen und öffentlich zu kommunizieren.Und das ist ein richtiger Weg.

Philippen Unproblematisch ist das Ganze nicht. Frei nach dem Motto: Irgendetwas bleibt immer hängen. Schauen Sie: Niemand weiß, worin genau die Belästigung bestanden hat. Ich bin da ganz klar: Wenn sich der Vorwurf bestätigt, kann Ulrich Hennes nicht mehr als Seelsorger in der Landeshauptstadt arbeiten. Wenn er aber unschuldig ist, darf er nicht versetzt werden und sollte meiner Überzeugung nach auch nicht freiwillig gehen. Er muss dann in vollem Umfang rehabilitiert werden.

Geht das?

Philippen Nicht von heute auf morgen. Wir müssen uns dafür Zeit nehmen. Eine Mediation, also eine professionelle Begleitung wäre sicher ratsam, so etwas kann ein halbes oder ein dreiviertel Jahr in Anspruch nehmen.

Beck Natürlich kann es Christen, die die Botschaft des Evangeliums ernst nehmen, nicht darum gehen – biblisch gesprochen – einen Stein in die Hand zu nehmen und ihn auf einen vermeintlichen oder tatsächlichen Sünder zu werfen ...

Aber?

Beck Historisch gibt es ja eine vom Erzbistum bestätigte Vorgeschichte. Danach soll Ulrich Hennes vor mehr als 20 Jahren in Wuppertal schon einmal einen knapp 18-Jährigen belästigt haben. In der Folge absolvierte er eine Therapie – auf Anraten eines externen Gutachters. Es gilt folgendes zu bedenken:  Priester genießen einen unfassbaren Vertrauensvorschuss. Deshalb wären heute Verheimlichungen, das Schützen des Täters und sein Verbleiben im Pfarrdienst oder in der Funktion des Diözesan-Jugendseelsorgers hoffentlich unmöglich. Es gilt, die Menschen, die Vertrauenden, die Kinder und Jugendlichen zu schützen.

Philippen Auch hier gilt: Niemand kann oder will sagen, um welche Art von Belästigung es sich damals handelte. Deshalb bleibe ich zurückhaltend.

Macht es denn einen Unterschied, um welche Art von sexueller Belästigung es sich handelte?

Beck Wenn es eindeutig eine sexuelle Belästigung war, natürlich nicht. Da darf nichts kleingeredet oder verharmlost werden. Andererseits müssen wir in der aktuellen Debatte aufpassen. Nicht jede Form der Berührung, nicht jede Umarmung sollte als möglicherweise strafbewährter Übergriff tabuisiert werden. Es gibt da in der aktuellen Diskussion, zu der ich auch die Me-too-Debatte zähle, einen Pendelschlag, der mir Sorgen bereitet.

Warum?

Beck Weil es um natürliche menschliche Nähe geht, die uns nicht abhanden kommen darf. Man muss auch jenseits der eigenen Partner oder Kinder jemand in den Arm nehmen dürfen, ohne dass dies gleich ein Geschmäckle hat.

Hat Kirche noch eine Zukunft?

Philippen Wenn sie sich in Teilen neu erfindet, hat sie eine.

Was muss sich ändern?

Philippen Mit der Art, wie wir heute ganz überwiegend die Heilige Messe feiern, lockt man niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Und wer bei Reformen nur an die Zahl der Messen oder neue Uhrzeiten denkt, hat das Problem ebenso wenig verstanden.

Worum soll es denn gehen?

Beck Kirche sollte der Ort sein, an dem Menschen den Weg zu Gott finden. Und nicht der Ort, an dem man sich durch überkommene Schuldbekenntnisse erst einmal ganz klein und schlecht fühlt. Wo spüre ich denn heutzutage die frohe Botschaft? Wo spürt man die Liebe in der Messe? Es muss um Respekt, Toleranz und eben ganz besonders um die Liebe gehen. Jesus ist auf die Welt gekommen, um zu heilen, was verwundet ist.

Und was ist mit der Glaubenslehre?

Philippen Die hat natürlich ihren Platz. Aber es darf nichts mehr von oben diktiert werden. Die Menschen sind heute aufgeklärt, sie stellen Fragen und wollen keine vorgefertigten Antworten. Der Priester von heute darf Hirte, aber kein Bestimmer mehr sein.

Darf er denn eine Frau sein?

Beck Ich könnte jetzt erfüllen, was man von einer Frau als Gesprächspartnerin erwartet und schlicht mit Ja antworten. Aber das ist mir zu simpel. Natürlich ist das Frauenpriestertum im Sinne Jesu folgerichtig. Wie wir alle wissen, eckte er auch deswegen an, weil er Frauen in seinen Kreis zog. Und es waren Frauen, die zu den ersten Zeugen der Auferstehung gehörten. Aber ich warne auch davor, darin die Lösung der Krise von Kirche und Glauben zu erblicken.

Philippen Und wir sollten diese Änderung nicht machen, um Gottesdienst-Ordnungen aufrecht erhalten zu können. Das wäre für mich der falsche Ansatz. Grundsätzlich ist eine Öffnung sämtlicher Weiheämter für Frauen zu begrüßen.

Beck Und die Abschaffung des Pflichtzölibats wäre es auch. Wir müssen die lustfeindliche Tradition des Paulus endlich überwinden. Diese Lehre ist mitverantwortlich für die Unterdrückung des Fleischlichen und damit für Probleme, die unsere Kirche aktuell so stark belasten.

Johannes Paul II. hat in seinem Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ sehr klare Worte gefunden. Er sagt, die Kirche habe keinerlei Vollmacht, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.

Philippen Anders als manche Theologen sehe ich das nicht als ein „ex cathedra“ verkündetes unfehlbares Dogma an. Die Heilige Schrift ist in der Antike entstanden und spiegelt historische Gegebenheiten. Wir müssen das ins 21. Jahrhundert übertragen.

Kardinal Woelki hat vorgeschlagen, mittelfristig in den Gemeinden des Erzbistums nur noch einen Sonntagsgottesdienst anzubieten, um Kräfte zu bündeln und um ein Gemeinschaftserlebnis anzubieten, bei dem sich die Gläubigen wieder als eine Gemeinde empfinden.

Philippen Ich tue mich schwer mit dieser allgemeinen Ansage. Die Gemeinden, Seelsorgebereiche und Kirch-Standorte sind einfach zu unterschiedlich. Es kann nur sehr individuelle Lösungen geben, nicht jede Vorabendmesse und nicht jede besondere Messe für Kinder, Frauen oder Familien sollte abgeschafft werden. Im Zweifel würde das Wunden reißen, die dann bei einigen zu einer Abkehr von der Kirche führen.

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