Düsseldorf Der Mann, der niemals aus der Mode kommt

Düsseldorf · Der Couturier Hanns Friedrichs prägte das Gesicht der Modestadt Düsseldorf wie kein anderer. Sein Salon war schon in Zeiten des Wirtschaftswunders ein Treffpunkt für die Damen der Gesellschaft an Rhein und Ruhr. Erzählt der 84-Jährige von früher, leben glamouröse Zeiten auf.

Düsseldorf: Der Mann, der niemals aus der Mode kommt
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Der große blaue Koffer in seinem Atelier ist bis zum Rand gefüllt mit wunderschönen Stoffmustern. "Die habe ich exklusiv für eine meiner Stammkundinnen bestellt", sagt Hanns Friedrichs und lässt bunte Seide durch die Finger gleiten. "Jetzt schauen wir, was wir daraus machen können." In Reichweite liegt ein schwarzes Buch mit der Aufschrift "Kollektion". Es enthält Skizzen, die der Modeschöpfer täglich ergänzt, Seite um Seite. "Nein, die Ideen gehen mir noch nicht aus", versichert er. "Ich habe genügend Entwürfe im Kopf und sehe dabei gleich die Frau vor mir, die dieses Kleid am besten tragen könnte. Aber ich arbeite ja nur noch ganz wenig." Hauptsächlich, weil er seine letzten treuen Mitarbeiterinnen nicht im Stich lassen will, die ohne ihn ihrer beruflichen Existenz beraubt wären. Manche stehen ihrem Chef seit Jahrzehnten zur Seite. "Wir verstehen uns blind, weil sie meine Handschrift genau kennen", sagt er.

Ganz sicher braucht aber auch Hanns Friedrichs das schöpferische Gestalten wie die Luft zum Atmen. Ein Leben ohne Mode? Ohne glänzende Frauenaugen beim Anziehen eines nur für sie gefertigten Kleides? Undenkbar. Obwohl er Anfang Juni seinen 84. Geburtstag feierte. Noch sind beim Atelierbesuch die letzten Sträuße nicht verwelkt. In hohen Vasen füllen sie die Diele und erscheinen vor dem Spiegel doppelt so üppig. "Das war ein tolles Blumenmeer!" freut er sich. Man mag ihn halt, den liebenswürdigen Hanns Friedrichs. Man schätzt und bewundert ihn und drückt es an seinem Ehrentag gerne aus.
Wie kein anderer prägte der Couturier seit der Nachkriegszeit den Ruf der Modestadt Düsseldorf. "Das hat nach mir nur noch Eickhoff geschafft", sagt er. Sein eleganter Salon war schon in den frühen 50er Jahren ein Treffpunkt für die Damen der Gesellschaft an Rhein und Ruhr. Wer etwas auf sich hielt und im Wirtschaftswunder das nötige Geld dafür hatte, ließ bei Hanns Friedrichs schneidern und machte damit überall "bella figura". Stets war HF, wie seine Kundinnen ihn nannten, mehr als ein Modeschöpfer. Er war Berater, Seelsorger, Psychologe und verschwiegener Freund. Und ein glänzender Unterhalter obendrein: Wer einmal eine seiner spektakulären Modeschauen miterlebte, wird sich daran erinnern. Über viele Jahre fanden sie im einstigen Hotel Intercontinental in Golzheim statt. "Der Direktor erwähnte einmal, dass ich dem Haus mehr Umsatz brachte als die Silvester-Gala", schmunzelt Hanns Friedrichs. Die anwesenden Damen waren begierig darauf, extravagante Kleider zu sehen. Aber der Höhepunkt war für viele erst gekommen, wenn der Meister alle paar Minuten höchstselbst ins Rampenlicht federte und dabei jedes Mal eine neue Kreation trug. Der Laufsteg war seine Bühne. Hier führte er vor dem entzückten Publikum seine mit Herzblut zelebrierten Passionen zusammen: das Tanzen, das Singen, das Theater und die Mode.

Schon als kleiner Junge will er Schauspieler werden, nichts anderes. Doch daran ist zunächst nicht zu denken. Die in Dresden ausgebombte Familie hat es in den Kriegswirren nach Kassel verschlagen. Der Vater ist an der Front, die Mutter muss ihre vier Kinder durchbringen, irgendwie. Ihre größte Stütze ist der pfiffige blonde Hanns, der als Kinderstar am Kasseler Theater früh sein eigenes Geld verdient und die Geschwister damit über Wasser hält. "Wir waren vom höchsten Sockel des Bürgertums gestürzt", beschreibt er die schwierigen Lebensumstände. Weil er gern tanzt und singt, schließt sich der Junge 1943 einer Künstlergruppe an, die in Lazaretten die verwundeten Soldaten mit Liedern und anderen Darbietungen unterhält. Als Frau verkleidet gibt er Schlager von Ilse Werner und Marika Rökk zum Besten und schwingt dazu die Beine. Am Weihnachtsabend 1944 legt der 16-Jährige die erste Spur zu seinem späteren Beruf. Der Zug zum Auftrittsort wird überfallen, die Kostüme sind außer Reichweite. Da rafft er eilig im Lazarett ein paar Habseligkeiten zusammen und rettet die Vorstellung mit blühender Phantasie: "Aus Blutdruck-Manschetten wurden Gürtel, in verkehrt herum angezogene OP-Hemden kam ein Gummi für bauschige Ärmel." Als der Krieg zu Ende ist, setzt er alles daran, seinen ursprünglichen Traum vom Theater zu verwirklichen. Weil Hanns Lebensmittelkarten braucht, benötigt er eine Stelle. Und so beginnt er aus der Not heraus eine Lehre bei einem Schneider, die er drei Tage später um ein Haar wieder beendet hätte. "Ich wollte partout nicht im Schneidersitz auf dem Tisch hocken", sagt er, "das ging mir gegen den Strich." Der Meister willigt ein, dass er wie die Frauen auf dem Hocker sitzen darf. Er bleibt, findet zunehmend Gefallen an seiner Arbeit und legt in weniger als zwei Jahren die Gesellenprüfung ab. "Das Schöpferische überwog", begründet er den Entschluss, diesem Handwerk künftig treu zu bleiben.
Die Kontakte zum Theater bleiben erhalten, in Zeiten der Not braucht man erfinderische Geister. Hanns Friedrichs entwirft sein legendäres "Mullbindenkleid" für die "Czardasfürstin", das er später mit anderen Kreationen dem Düsseldorfer Stadtmuseum stiftet. "Die Soubrette bekam ein grünes Kleid aus dem Stoff eines Billardtisches" erzählt er. "Statt mit Pailletten schmückten wir es mit Erbsen und Bohnen." Damit ist der Anfang als Kostümbildner gemacht, der in Düsseldorf mit dem Kontakt zur legendären Gräfin Orlowska, der Gründerin der "Komödie", seine Fortsetzung findet. Hanns Friedrichs, inzwischen in Hagen und bald auch mit einem Atelier in Düsseldorf ansässig, wird für drei Jahrzehnte der "Hofschneider" des Boulevard-Theaters. Unter den Prinzipalen Alfons Höckmann und Ingrid Braut kleidet er berühmte Schauspielerinnen ein: Camilla Horn, Lil Dagover, Sonja Ziemann. Viele damalige Stars der "Komödie" wie Heide Keller oder Marianne Rogée werden ihm zu lebenslangen Freundinnen. "Da konnte das Stück ruhig mal daneben gehen, meine Kostüme brachten mir immer viel Lob ein", sagt er. "Sobald die Frauen die Bühne betraten, gingen Ahs und Ohs durch die Reihen."

Die Mär vom Düsseldorfer "Modezar" zog mit den Jahren Kreise. Ausländische Magazine schwärmten vom "Dior am Rhein". Kreationen aus kostbaren Stoffen, gepaart mit exzellenter Schneiderkunst — keiner beherrschte diese Kunst so perfekt wie Hanns Friedrichs. "Entscheidend war die Schulternaht", sagt er. "Meine Kleider wurden von der Schulter dirigiert." Was, wenn sich eine Dame ein Kleid in den Kopf gesetzt hatte, das ihr gar nicht stand? "Ich habe es ihr nicht gegeben", beschreibt Hanns Friedrichs den Tanz auf heiklem Terrain. "Es war mir immer wichtig, die Frauen so anzuziehen, dass sie schön aussahen — obwohl ich privat mit Männern befreundet war."

Eine Plauderei mit Hanns Friedrichs gerät zur vergnüglichen Zeitreise durch die Jahrzehnte. Was hat dieser Mann nicht alles erlebt! So hatten ihm in den 60er Jahren sieben arabische Prinzessinnen üppige Aufträge beschert. Für den streng abgeschirmten Abstecher zu ihm wurde am Jürgensplatz sogar die Straße abgesperrt, spätere Anproben verlegte man nach Paris. Im einstigen Nachtclub "Täbris" an der Kö stattete der Couturier die biegsamen Oben-ohne-Tänzerinnen aus. Wenn sie schon kaum etwas anhatten, musste das Wenige besonders raffiniert sein. Sein Weg führte ihn bis nach Hollywood, wo er "Denver"-Star Joan Collins mit seiner Mode begeisterte.

Trotz seines privilegierten Lebens in der Glamourwelt verlor Hanns Friedrichs die Hilfsbedürftigen nicht aus den Augen. In Düsseldorf veranstaltete er über Jahre Benefizbälle zugunsten Aidskranker und kümmerte sich vor allem auch um Kinder, die von der damals noch tödlichen Krankheit betroffen waren. Umso betrüblicher, dass der Modeschöpfer vor einiger Zeit selber einen "Gesundheitsschock" erleiden musste, wie er es gnädig ausdrückt. Nach einem Sturz und einer Serie von Operationen ist er körperlich stark eingeschränkt, seine Tage werden von permanenten Schmerzen begleitet. Mit ungeheurer Disziplin trotzt er dem Leben dennoch Freude ab. Dem Glanz der Vergangenheit trauert er nicht nach: "Ich vermisse nichts, nur meine Gesundheit." Erzählt er von früher, blitzen seine hellwachen Augen so unternehmungslustig auf wie eh und je. "Was ich an Beweglichkeit nicht mehr leisten kann, ersetze ich durch Sprache."

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